Monsterwelpen - Beißt er noch oder schmust er schon?
Welpen sind nicht immer so hilflos und lieb, wie sie oft dargestellt werden. Sie sind kleine Lebewesen, die am Anfang ihres Lebens unheimlich viel testen, lernen und probieren müssen. Ganz oft tut das den begleitenden Menschen weh, sie wissen nicht, wie man darauf reagiert, und haben Sorge, dass sich Probleme entwickeln. Die wichtigsten Missverständnisse hat Dagmar Spillner, selbst leidgeprüft, zusammengefasst.
Warum wir uns einen Hund anschaffen Es ist sehr hilfreich, immer mal wieder zu reflektieren, warum wir uns Hunde anschaffen. Die typischen Gründe sind:
• weil wir schon immer mit Hunden gelebt haben
• weil wir schon immer Hunde geliebt haben, aber bisher nicht der richtige Zeitpunkt war, um einen eigenen zu halten
• weil wir Hunde kennen, die großartig sind, und wir gerne genau so einen Hund hätten
• weil Freunde und Bekannte einen Hund bekommen haben
• weil wir mehr Kontakt zu Menschen möchten
• weil wir mehr Zeit draußen verbringen wollen
• weil wir einen bestimmten Sport oder eine bestimmte Beschäftigung mit dem Hund anstreben
Und es gibt noch viel mehr Gründe, von denen keiner besser oder schlechter ist als der andere. Der Welpe, den wir uns anschaffen, hat jedoch von unseren Gründen keine Ahnung. All das, was wir uns wünschen, bringt er also nicht automatisch mit nach Hause.
Ein neuer Welpe ist ein individuelles Lebewesen
Sobald unser Wunschwelpe zu uns kommt, bringt er vielleicht ein ganzes Bündel an Charakter- und Verhaltensweisen mit, mit denen wir so vielleicht nicht gerechnet haben. In unserer Wunschvorstellung handelt es sich um einen kleinen „Lassie“ oder den Hund unserer Kindheit, an den wir uns eigentlich nur verschwommen erinnern. Doch plötzlich ist alles ganz anders. Woran liegt das nur?
Ein Welpe ist kein unbeschriebenes Blatt
Viele Faktoren formen einen jungen Hund und haben Einfluss auf sein Verhalten:
• War die Mutterhündin dauergestresst, ganz relaxed, überfordert oder ängstlich?
• Gab es Geschwister?
• War es ein großer Wurf oder war der Welpe vielleicht allein?
• Wie waren die Bedingungen, unter denen er aufgewachsen ist?
• War er zu viel Trubel ausgesetzt oder hat er nichts gesehen außer dem Schuppen?
• Welche genetischen Voraussetzungen bringt er mit?
• Wird seine Rasse seit Jahrhunderten zur Jagd eingesetzt oder zum Hüten?
• Kommt er aus einer langen Ahnenreihe einer Arbeitslinie oder handelt es sich um einen Mischling, bei dem nur schwer zu bestimmen ist, welche möglichen Eigenschaft en und Verhaltensweisen angelegt sind?
Schaut man sich die Liste oben an, dann sieht man schnell, dass Welpen kein unbeschriebenes Blatt sind, wenn sie in ihre neue Familie ziehen. Gerade die Wochen vor der Geburt, die Genetik und die erste Zeit beim Züchter haben einen großen Einfluss auf das Wesen des kleinen Hundes.
Wunschvorstellung versus Realität
Sobald die Hunde dann in ihrem neuen Umfeld angekommen sind und sich ein bis zwei Wochen akklimatisiert haben, geht es meiner Erfahrung nach sehr oft um 3 große Themen, die in der Realität ganz anders sind, als wir es uns vorgestellt haben. Die häufigsten Aussagen frischgebackener Welpenbesitzer sind:
• Aua, der beißt wie verrückt und das richtig fest
• Werde ich jemals wieder 8 Stunden am Stück schlafen?
• Pfui, überall sind Pipi und Kot
Bei vielen Welpen kommt alles zusammen. Gerade der erste Punkt jedoch wird kaum ehrlich thematisiert und lässt viele Besitzer verzweifeln. Das Beißen von Welpen in Hände und Sachen ist einer der häufigsten Gründe für Missverständnisse, Ärger und Stress in der Familie. Dem Welpen wird aus Unkenntnis und Sorge vor der Zukunft Schmerzen zugefügt, vor allem weil Besitzer nicht wissen, wie sie mit diesem Verhalten umgehen sollen.
Welpenwahnsinn
Das, was ich liebevoll Welpenwahnsinn oder die „irren 55 Minuten“ nenne, ist von Welpe zu Welpe so unterschiedlich ausgeprägt, dass ich mir sicher bin, einige Menschen werden nicht verstehen, wovon ich spreche. Kleine Welpen zeigen in unterschiedlicher Ausprägung ein Verhalten, bei dem sie durchzudrehen scheinen. Sie schleudern ihre Spielsachen herum, bekommen einen Rennflash und traktieren ihre Kauwurzeln. Manche Welpen springen über Tische und Bänke und an ihren Besitzern hoch, zerren alles aus den Regalen oder bellen wir verrückt. Und andere Welpen beißen in alles, was sich bewegt (oder nicht bewegt), bekommen regelrechte Wutanfälle, wenn man sie einschränkt, packen auf lautes „Quietschen“ ihrer Menschen nur noch fester zu. Man kann sie kaum streicheln, ohne Zähne in den Händen zu haben, geschweige denn mit ihnen schmusen. Diese Welpen kommen nicht zur Ruhe, sondern fallen irgendwann erschöpft um und schlafen dann einfach. Viele leider nur kurz, was ebenso ein Teil des Problems ist. Diesen Welpen scheint es oftmals egal, ob sie kleinen oder großen Menschen gegenüberstehen, die auch weiterbeißen, wenn Blut fließt, und die augenscheinlich durch nichts zu beeindrucken sind. Von diesen Welpen steht in keinem Buch etwas, und ohne es selbst erlebt zu haben, glauben selbst nicht alle Trainer, dass es sie gibt.
Die dazugehörigen Halter haben sich das meist alles ganz anders vorgestellt. Sie glauben nun, sie machen alles falsch. Sie befürchten, die Gewalt könne sich potenzieren und der Hund im Erwachsenenalter eine echte Gefahr darstellen. Sie sind hilflos und ratlos und oft am Ende ihrer Kräfte.
Es ist schwierig, sich Fotos von diesem niedlichen Welpen anzuschauen und von allen zu hören, wie süß und unfassbar knuddelig der kleine Hund doch ist, während er im realen Leben regelmäßig zur Schnappschildkröte bzw. zum Krokodil mutiert. Selbst dieses Wort ist noch verniedlichend und spiegelt nicht wirklich wider, was sich oft in diesen Stunden des Welpenwahnsinns abspielt.
Auch wenn man es nicht glauben mag: Es ist kein ungewöhnliches Verhalten, kein Fehler von einem selbst und auch nichts, was nicht irgendwann wieder vorbeigeht. Als Halter kann und muss man es begleiten, aushalten und später rasch wieder vergessen.
Man sollte nicht vergessen: Es ist ein kleiner Hund. Auch wenn es wehtut wie bei einem großen Hund. Der kleine Welpe ist tatsächlich erst 10, 12 oder 14 Wochen alt und mit vielen neuen Reizen überfordert. Es fehlt bei einem so jungen Tier an Reife und geeigneten Strategien, um sich zu regulieren bzw. viele neue Eindrücke zu verarbeiten. Es tut, was ein Tier in diesen Situationen kann: Erregung und Stress durch Kauen und Wuseln abbauen. Die richtigen Strategien lernt es erst mit dem Alter und mit der Hilfe seiner Besitzer. Verständnis ist hier trotz der Schmerzen sehr wichtig. Das Alter als Mantra kann helfen, diese zu übertönen. Blut gerinnt, Narben verheilen, der Welpe wird älter. Versprochen! Was können Sie beachten, um um es sich und Ihrem Welpen leichter zu machen, durch die Phase zu kommen?
1. Das Drumherum
Ist der Hund satt und verträgt er das Futter gut? Macht er also oft genug schön aussehende Häufchen oder gibt es da Probleme? Wer Hunger hat, kann nicht gut schlafen und wacht u.U. genervt auf. Nicht immer passt die Fütterungsangabe zum tatsächlichen Hund. Hier darf man gern etwas experimentieren. Auch mit dem Futter als solchem, welches durchaus unterschiedlich vertragen wird. Bauchweh führt auch zu unleidlichem Verhalten.
Schläft der Hund überhaupt genug? Welpen erleben so viele Reize am Tag, die sie verarbeiten müssen. Entsprechend benötigen sie viel Schlaf. Bekommen sie den nicht oder werden sie immer wieder darin gestört, kann das zu oben genanntem Verhalten führen. Achten Sie auf einen guten Schlafrhythmus mit festen langen Schlafphasen. Kuscheln, trainieren und mehr können Sie die ganzen nächsten Jahre noch genug. Legen Sie hier den Grundstein dafür. Beschäftige ich ihn zu viel oder zu wenig? Die Motivation des Besitzers, mit dem Hund etwas zu tun, ist oft mals sehr groß. Dafür hat man ihn schließlich angeschafft . Das führt dazu, dass viele Welpen viel zu viel erleben und tun und dann überreizt sind. Auch ein Grund für heftigen Welpenwahnsinn. Die andere Seite der Medaille ist der Hund, der sich langweilt und aufregt, um etwas zu erleben. Testen Sie also aus, an welchen Tagen Ihr Hund zufrieden erschöpft ist und wann der Wahnsinn kommt.
2. Management
Solange der Welpe nicht anders kann (und er kann tatsächlich nicht anders), müssen Sie managen, damit Sie selbst und andere nicht verletzt werden. Denken Sie präventiv und nicht erst, wenn es zu spät ist. Immer dann, wenn uns selbst etwas wehtut, verlieren wir leicht die Kontrolle. Aggressionen kann man nicht mit Aggressionen heilen. Alles, was zurzeit zwischen Ihnen und Ihrem Welpen passiert, merkt er sich unter Umständen lebenslang. Während die Phase der wilden Beißerei bald vorbeigeht, hat der Hund dann gelernt, Sie oder Ihre Hände zu fürchten. Diese Furcht beeinflusst Ihre Beziehung und wird Sie im Zweifel lange begleiten. Beugen Sie also vor. Zumal Sie sich als Hundeliebhaber sicherlich keinen Hund angeschafft haben, um ihm wehzutun, davon bin ich überzeugt.
Management sind z. B. Türgitter, die „sichere Zonen“ schaffen, so dass Sie durchschnaufen und geduldig bleiben können. Die Leine, die man eben mal dem Partner in die Hand drückt, weil man einfach nicht mehr kann, ist Management. Und auch das Sofa, auf das man das Kind stellen kann, weil der Welpe nicht drankommt, ist eine absolut erlaubte Managementhilfe.
3. Training
Bringen Sie Ihrem Hund bei, was er tun soll, damit Sie sein Verhalten umlenken können.Überlegen Sie sich, welche Übungen Sie in den guten Phasen (die es immer auch gibt) trainieren möchten. Ein neu eingezogener Hund kann in der Regel noch wenig bis gar nichts. Trotzdem bombardieren wir junge Hunde mit Wörtern wie „Nein!“, „Aus!“, „Pfui!“, um zu signalisieren, dass sie unerwünschtes Verhalten zeigen.
Machen Sie sich bewusst, dass der Welpe immer mindestens 5 Dinge auf einmal tut (mit den Ohren wackeln, das Maul aufreißen, die Pfoten bewegen, mit der Rute wedeln, bellen). Wenn Sie in diesem Moment „Aus!“ sagen, hat er/sie keine Ahnung, was Sie von ihm wollen. Das merkt man oft daran, dass sie ungestört weitermachen, was sie vorher getan haben. Immer, wenn der Welpe Sie beißt und Sie sagen „Aus!“ oder „Aua!“, lernt er lediglich, dass Beißen so heißt. Machen Sie sich die Lerntheorie zu Nutze und sagen Sie „Sitz“, wenn er sitzt. Sagen Sie „Komm“, wenn er auf Sie zuläuft , und sagen Sie „Aus“, wenn Dinge aus seiner Schnauze purzeln. Wiederholen Sie das bei jeder Gelegenheit und setzen Sie Futter zur Belohnung ein.
Nach kurzer Zeit machen Sie die Gegenprobe. Der Hund steht, Sie sagen „Sitz“. Setzt er sich? Prima – und die Belohnung nicht vergessen. Bleibt er stehen und schaut Sie verständnislos an? Dann benennen Sie das erwünschte Verhalten im Alltag noch weiter, während der Welpe es zeigt. Je mehr der Hund kann, desto besser können Sie ihm in einer Welpenattacke sagen, was er stattdessen tun soll. Sitzen, kommen oder auf die Decke gehen. Sogar Pfötchen geben, die Hose loslassen oder sich hinlegen sind echte Informationen, die helfen. Seien Sie aber darauf eingestellt, dass er es nicht oder nur kurz schafft. Lassen Sie sich nicht entmutigen und bleiben Sie am Ball. Lernen braucht Zeit, aber es geschieht. Üben Sie also, gern mit Hilfe eines Trainers, die Signale, die Ihnen helfen können
4. Zahnwechsel
Zu allem Unglück kommt auch der Zahnwechsel noch dazu. 28 nadelspitze Welpenzähne sollen bis zum Erreichen des 7. Lebensmonats 42 großen Zähnen Platz machen. Das geht bei vielen Hunden nicht komplikationslos. Es gibt Tage, an denen es im Maul drückt, das Zahnfleisch geschwollen ist und der Drang, in etwas zu beißen, sehr groß ist. Bieten Sie unterschiedlich beschaff ene Gegenstände an. Oft standen gewässerte (damit sie nicht splittern) Apfelbaumäste hoch im Kurs, Waschlappen aus der Kühltruhe, Hartgummispielzeug oder Trockenkauartikel. Der Hund kann sich daran abreagieren, das Zahnfleisch kühlen und Spaß haben, ohne sich oder andere zu verletzen. Bieten Sie immer mal wieder etwas Neues an neben alten Dingen, auf die der Hund ständig Zugriff hat. So bleibt es interessant.
5. Richtig reagieren
Hunde lernen durch die Konsequenzen, die auf ihr Verhalten folgen. Wenn Ihr Welpe Sie beißt und Sie ihm Ihre volle Aufmerksamkeit schenken, aufschreien oder ihn schubsen, dann weiß ich, was ich als Welpe tun würde, wenn mir langweilig ist oder ich Kontakt möchte. Denken Sie an die Managementmaßnahmen, um sich zu schützen. Versuchen Sie das unerwünschte Verhalten umzulenken. Nehmen Sie ein Spielzeug in die Hand und spielen Sie zusammen. Das Ziel ist, dass der Hund in Zukunft weiß, was er tun muss, wenn er Ihre Aufmerksamkeit möchte: Mit einem Spielzeug spielen, dann kommen Sie nämlich dazu. Es dauert eine Weile, aber irgendwann wird er es verstehen. Versuchen Sie dem Beißen so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu schenken, dem schönen gemeinsamen Verhalten dafür sehr viel mehr.
6. Hilfe suchen
Wenn Sie verzweifelt, traurig, wütend oder hilflos sind, holen Sie sich Hilfe. Wenn Ihnen andere Menschen empfehlen, sich richtig durchzusetzen, ihm zu zeigen, wer der Chef ist, den Hund einzusperren oder allein zu lassen, suchen Sie weiter. Diese Informationen sind veraltet und helfen niemandem. Sie führen zu Misstrauen, Angst und Bindungsproblemen, die Sie das ganze Hundeleben begleiten werden. Denken Sie an Ihre Gründe, warum Sie sich den Hund angeschafft haben. Schaffen Sie sich Inseln. Wer kann für 2 Stunden auf Ihren Hund aufpassen, während Sie durchschnaufen?
7. Eine Phase
Sie haben ein wundervolles gemeinsames Leben vor sich, Sie müssen nur noch ein wenig durchhalten und gewaltfrei bleiben. Die gute Nachricht habe ich mir nämlich für den Schluss aufgehoben: Egal ob Sie trainieren oder nicht, diese Zeit geht vorbei. Es ist nämlich wie fast immer nur eine Phase!