Gymnastricks - Der Einfluss von Körpergröße und Körperform auf die Gesundheit
Wenn es um unsere Hunde geht, sind wir Hundehalter sehr sensibel, denn auf unsere Vierbeiner lassen wir nichts kommen. Das ist auch gut und richtig so: denn jeder Hund ist für seine Familie perfekt. Carmen Heritier erläutert, welche Übungen Ihrem Hund abhängig von seinen individuellen Gegebenheiten guttun können und worauf Sie achten sollten.
Objektiv betrachtet hat jedes Individuum körperliche Stärken und Schwächen. Um genau diese geht es – zumindest im körperlichen Bereich – in diesem Artikel. Vorneweg sei gesagt, dass es bei uns Menschen natürlich genauso aussieht und viele von uns nicht „ideal gebaut“ sind. Allerdings können wir uns bewusst für oder gegen bestimmte Aktivitäten entscheiden und konkret äußern, wenn uns etwas zu anstrengend wird oder wir gar Schmerzen haben. Unsere Hunde können dies nicht beziehungsweise zeigen kleinere Unannehmlichkeiten nur ganz versteckt. Dementsprechend ist es wichtig, ihre anatomischen Gegebenhei-ten genau zu kennen, um zu verstehen, was ihnen guttut.
Zuchtziel vs. heutige Verwendung?
Die wenigsten Hunde werden heute noch gemäß ihrem ursprünglichen Zweck eingesetzt. Oder welcher Dalmatiner begleitet tagelang eine Kutsche, welcher Herdenschutzhund lebt wirklich noch alleine auf dem Feld und beschützt seine Herde und welcher Pudel apportiert Enten aus dem Wasser? Die wenigsten vermutlich. Dennoch ist es wichtig, zu wissen, welche anatomischen Besonderheiten Ihr Hund so an sich hat. Bevor es ins Detail geht, sei vorneweg gestellt, dass es die funktionelle Anatomie nicht gibt. Je nach Zuchtziel einer Hunderasse ist eine unterschiedliche Anatomie gewünscht und sinnvoll. Logischerweise ist also ein niederläufiger Jagdhund anders gebaut als ein Windhund und der wiederum anders als ein Hütehund. Innerhalb dieser Klassifizierungen gibt es dann wiederum Unterschiede – denn unsere Hunde sind ja zumindest theoretisch hochspezialisiert.
So ist also der Oberarm eines Dackels „von gleicher Länge wie das Schulterblatt, nahezu im rechten Winkel zu diesem stehend, starkknochig und gut bemuskelt, an den Rippen anliegend, aber frei beweglich“ (FCI Standard Nr. 148). Wichtig ist hierbei die freie Beweglichkeit, sonst könnte der Dackel in Bauten unter der Erde nicht entsprechend eng wenden bzw. graben. Sein langer Rücken hingegen ist für die Kraftübertragung aus der Hinterhand nicht unbedingt sinnvoll konstruiert, aber die braucht er ja auch nicht, denn er ist ja nicht dafür gezüchtet, lange Strecken zu galoppieren oder zu springen.
Anders sieht das bei einem Windhund aus. Hätte dieser die Proportionen eines Dackels (Widerristhöhe ca. 1 im Verhältnis zu Rückenlänge ca. 1,7), würde er auf der Rennbahn keine so gute Figur machen. „Der Körper [eines Border Collies] soll im Vergleich zur Schulterhöhe etwas länger sein“ (FCI Standard Nr. 297) und bezüglich seiner Vorderhand erwähnt der Standard: „Vorderläufe von vorne her gesehen parallel, Fesseln von der Seite betrachtet leicht schräggestellt. Knochen kräftig, aber nicht grob. Schultern gut zurückgelegt, Ellenbogen dicht am Körper anliegend“. Für das, wofür der Border Collie gezüchtet wurde, macht das Sinn – eine leicht schräggestellte Fessel (Vordermittelfuß) in Kombination mit gut zurückgelegten Schultern ergibt eine ideale Anatomie, um die typische Hütehaltung einzunehmen und dort, tief unten, auf der Stelle wenden zu können. Der dicht am Körper anliegende Ellenbogen ergibt die benötigte Stabilität hierfür. Würde der Ellenbogen nicht dicht am Körper anliegen, wäre die ganze Vorderhand eines Border Collies „lasch“ und die Schulter müsste das ganze Bewegungsausmaß alleine stabilisieren.
So weit der kurze Exkurs zur Anatomie betreffend des Zuchtzieles. Welche anatomischen Gegebenheiten sind nun für einen Familienhund förder- oder hinderlich? Mit dieser Frage könnte man ein ganzes Buch füllen. Auf die wichtigsten und die am leichtesten erkennbaren anatomischen Strukturen soll in diesem Artikel eingegangen werden.
Foto: Pierre HeritierRückenlänge
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass ein langer Rücken anfälliger ist für etwaige Probleme oder muskuläre Verspannungen. Dabei gibt es natürlich Rassen oder Rassemixe mit besonders langem Rücken wie Dackel, Corgies, Bassets usw. Aber auch Individuen, deren Rasse nicht speziell für einen langen Rücken bekannt sind, können einen im Verhältnis zu ihrem Körper langen Rücken haben. Bei diesen Hunden ist es wichtig, darauf zu achten, dass sie über eine gute Koordination der Hintergliedmaße verfügen bzw. der gesamte Rücken muskulär gestärkt wird. Die folgende Übung ist unter anderem für diese Hunde empfehlenswert:
Übung: Seitwärtsgehen
Das Seitwärtsgehen ist eine Übung, die in besonderem Maße die Koordination und Beweglichkeit des gesamten Rumpfes fördert und fordert. Hat Ihr Hund Mühe, diese Übung zu erlernen, deutet dies nicht selten auf Verspannungen hin.
Übungsaufbau: Zunächst ist es wichtig, die Hinterhand Ihres Hundes zu aktivieren. Dazu behelfen wir uns zunächst eines anderen Tricks, um dann ein für den Hund logisches Seitwärtsgehen zu etablieren. Hilfsmittel: kleiner Hocker, umgestülpter Blumentopf o. Ä., auf dem Ihr Hund bequem mit beiden Vorderfüßen stehen kann.
Vorübung: Handtarget
Übungsschritte:
1. Stellen Sie den Hocker erst auf den Boden, wenn Sie sich schon mit Clicker und Leckerlies bewaffnet haben. Clicken Sie jegliches Interesse an diesem neuen Objekt und Ihr Hund wird recht zügig versuchen, seine Pfoten auf den Hocker zu stellen. Diesen Moment belohnen Sie großzügig, Ihr Hund verbleibt dabei auf dem Hocker. Sollte Ihr Hund nicht mit den Pfoten auf den Hocker stehen möchten, prüfen Sie, ob der Hocker wackelt, und helfen Sie Ihrem Hund ggf. mit dem Handtarget.
2. Begeben Sie sich direkt vor Ihren Hund, der sich noch mit seinen Vorderpfoten auf dem Hocker befindet, und bieten Sie ihm den Handtarget auf Schnauzenhöhe mittig Ihres Körpers an. Wiederholen Sie dies mindestens 5 Mal.
3. Jetzt können Sie anfangen, sich langsam um den Hocker herum im Kreis zu bewegen. Zunächst nur minimal, sodass Ihr Hund nur den Kopf zur Seite recken muss. Dies clicken und belohnen Sie.
4. Jetzt bewegen Sie sich etwas weiter von Ihrem Hund weg, allerdings in der gleichen Richtung wie zuvor. Halten Sie den Handtarget mittig vor Ihren Körper. Ihr Hund muss sich nun aktiv etwas drehen. Dabei ist es wichtig, dass Sie die Bewegung der Hinterhand clicken. Schauen Sie dazu am besten auf den Hintern Ihres Hundes. Sobald sich dieser seitwärts bewegt, clicken und belohnen Sie Ihren Hund. Ihr Hund sollte nun wieder gerade ausgerichtet vor Ihnen stehen. Wiederholen Sie dies häufig.
5. Klappt diese Übung in eine Richtung, machen Sie sich nun direkt an die andere Seite und gehen Sie analog Punkt 3.) und 4.) vor. Foto: Mike Winter
6. Macht es Ihrem Hund keine Mühe, Ihnen in beide Richtungen zu folgen, belohnen Sie jetzt erst nach 2 oder mehr Schritten. Variieren Sie Richtung und Belohnungsrate.
7. Folgt Ihr Hund Ihnen flüssig mehrere Schritte in beide Richtungen, wird es Zeit, das Wortsignal für das Seitwärtsgehen einzuführen. Idealerweise wählen Sie 2 Wortsignale, eines für seitwärts nach rechts und eines für seitwärts nach links. Sagen Sie Ihr Wunschsignal für eine Seite, bevor sie sich bewegen. Erst dann starten Sie die Bewegung und belohnen Ihren Hund für ein Folgen dieser. So wird er schrittweise das Signal mit der Bewegung verknüpfen und Ihnen bald vorgreifen.
8. Jetzt wird es interessant: Übertragen Sie das Signal und die Übung auf einen Übungsaufbau ohne Hilfsmittel. Konkret bedeutet dies: Sie fragen zunächst die Übung wie gewohnt mit Hocker ab, lassen diesen dann zügig verschwinden und stellen sich wieder vor Ihren Hund, wie wenn der Hocker noch da wäre. Fragen Sie jetzt Ihre beiden Signale ab, indem Sie sich – wie mit Hocker – stückchenweise drehen. Belohnen Sie Ihren Hund hierbei kleinschrittig, denn Sie haben die Schwierigkeit erhöht, indem Sie ihm ein Hilfsmittel entzogen haben. Scheint Ihr Hund Schwierigkeiten mit diesem direkten Übergang zu haben, bedienen Sie sich eines flacheren Gegenstandes, den Sie bis auf ein Mousepad reduzieren, und gehen Sie wieder einen Schritt im Übungsaufbau zurück.
9. Ist Ihr Hund so weit, dass er sich mit Ihnen mitdreht, egal in welche Richtung und wie weit, können Sie jetzt mit der tatsächlichen Seitwärtsbewegung beginnen. Erst jetzt ist Ihr Hund sich nämlich der vollen Funktionstüchtigkeit seines Hinterteils bewusst.
10. Entscheiden Sie sich zunächst für eine Richtung und beginnen Sie den Trick wie zuvor. Anstatt sich im Kreis zu drehen, bewegen Sie sich jedoch minimal seitlich. Helfen Sie Ihrem Hund im Zweifelsfall mit dem Handtarget, er dürfte eigentlich aber verstanden haben, um was es geht. Clicken und belohnen Sie hierbei wieder seine Hinterhandbewegung und freuen sich riesig mit ihm, wenn er das Konzept verstanden hat.
11. Testen Sie nun mehrere, auch größere Schritte sowie die andere Richtung. Fertig!