Der Herdenschutzhund - Ein Hund wie jeder andere?
Herdenschutzhunde polarisieren. Entweder man mag sie oder man lehnt sie ab. Oft wird Angst geschürt, weil die Vermittlungsrate aus dem Tierschutz hoch ist. Was dran ist am Mythos Herdenschützer beschreibt Michaela Wolf.
Seit es in Deutschland wieder Wölfe gibt, hört man auch mehr von Herdenschutzhunden. Sie wurden gezüchtet, um Schafs- und andere Herden vor Beutegreifern zu schützen und werden auch heute noch in vielen Gegenden genau dafür eingesetzt.
Damit ein Herdenschutzhund seine Aufgabe gut erfüllen kann, wächst er meist in der Herde auf und verbringt den größten Teil seiner Lebenszeit dort. Im Gegensatz zu den meist kleineren und wendigeren Hütehunden soll der Herdenschutzhund mit seinem stark ausgeprägten Territorialverhalten, seiner Präsenz und auch seiner Angriff sbereitschaft im Notfall die Herde schützen. Der Hütehund wiederum eignet sich vermehrt zum Treiben und Sortieren der Tiere. Manche Rassen sind jedoch auch für beide Aufgaben gut geeignet, wie beispielsweise der Deutsche Schäferhund (wenn er aus entsprechender Arbeitslinie stammt).
Typische Herdenschutzhunde wie der Pyrenäen-Berghund, der Kangal, der Owtscharka und der Kuvasz werden bis zu 80 cm groß und über 50 kg schwer. Mit ihrer hellen Fellfarbe und dem dichten Haarkleid gehen sie optisch in den Herden unter und können ebenso wie die Herden das gesamte Jahr im Freien verbringen, wenngleich sie dort jedoch zumindest einen Unterstand benötigen.
Der typische Herdi
Das Territorialverhalten der Herdenschutzhunde ist legendär und eines der größten Probleme im dicht besiedelten Deutschland. Vor allem, wenn die Tiere als Familienhunde gehalten werden. Es besteht die große Gefahr, dass ein Herdenschutzhund nicht nur seine Wohnung und den Garten als Territorium verteidigt, sondern auch das tägliche Spaziergehgebiet oder Weg und Wiese, an dem man einige Minuten Pause gemacht hat. Sein Revier dehnt sich nämlich oft auf alle Spaziergehgebiete aus. Der Bereich, den der Hund einmal betritt, gehört dazu! Fremde Menschen und Hunde werden dadurch rasch zu Eindringlingen ins eigene Reich.
Das Wesen vieler Herdenschutzhunde ist energiesparend, sparsam und abwartend. Sie bewegen sich nicht übermäßig, drohen mit steifer Körperhaltung und können in sekundenschnelle den vermeintlichen Feind abwehren. Selektiert wurden Hunde, die eigenständig und selbstsicher auch große Angreifer abwehren können. Die Zusammenarbeit mit dem Menschen ist da weniger gefragt. Das oft ruhige Wesen und häufige Dösen verleitet zu falschen Annahmen und hat wohl auch (neben der Größe) dazu geführt, dass der Herdenschutzhund immer wieder in Familienhand auftaucht.
Oft mals werden sie als Mischling, z. B. aus dem Tierschutz, angeschafft und den neuen Besitzern wird erst später bewusst, was sie sich da ins Haus geholt haben: Einen guten Wächter, der eigenständig Entscheidungen trifft.
Welche Probleme kann der HSH mitbringen?
Der türkische Kangal, urspr. Karabasch, wurde in der Türkei sogar für militärische Zwecke ausgebildet. Foto: Pixabay.com
Herdenschutzhunde sind dafür prädestiniert, Haus und Hof auch gegen Freunde und Bekannte zu verteidigen oder aggressives Verhalten zu zeigen, wenn ein fremder Hund zu nahe kommt.
Diese Verhaltensweisen des Hundes werden als störend empfunden, vor allem dann, wenn die Halter schon Ärger mit dem Nachbarn haben, weil der Hund so viel am Gartenzaun bellt oder die Freunde der eigenen Kinder angeknurrt wurden.
Zum Problem wird der Hund in der Regel dann, wenn die Haltungsbedingungen solche Verhaltensweisen nicht erlauben – oder aber, weil der Herdenschutzhund seine genetisch fixierten Charaktereigenschaft en nicht ausleben darf.
Nicht jeder Herdenschutzhund ist territorial und es gibt einige Hunde, die sich problemlos an ein Leben in der Stadt gewöhnt haben. Dennoch sind Herdenschutzhunde noch sehr ursprüngliche Arbeitshunde mit klaren Aufgaben. Das Risiko, einen Hund zu bekommen, der genau diese Aufgaben auch erfüllen möchte, ist also hoch.
Der Pyrenäenberghund wurde erstmals im 15. Jahrhundert erwähnt und diente dort als Bewacher von Schlössern. Foto: Caro S. - Fotolia.comEin Hund wie jeder andere?
Für den Hundetrainer heißt dies vor allem, einen Kompromiss zu finden zwischen den Ansprüchen des Hundes und den Ansprüchen, die seine Umwelt an ihn stellt. Dabei analysiert er – wie in jedem anderen Fall auch – das problematische Verhalten und findet einen Weg, dieses durch ein Erwünschtes zu ersetzen. Die Kunst dabei ist, herauszufinden, welche Methoden für das Training tauglich und nachhaltig sind. Das ist erfahrungsgemäß oft etwas kniffliger als bei Hunden anderer Rassen.
Dennoch sind Herdenschutzhunde trainierbar und lernen nicht schlechter oder langsamer als alle anderen Hunderassen. Wichtig ist hierbei, wie auch bei anderen Hunden, mit dem Hundebesitzer das Trainingsziel zu definieren und sich dann einen Trainingsplan zu schreiben, der alle Komponenten des individuellen Hund-Mensch-Gespanns berücksichtigt.
Hier ist z. B. auf die Wahl des richtigen Verstärkers zu achten. Die Belohnung muss für den Hund etwas sein, was das neue, erwünschte Verhalten auch wirklich verstärkt. Damit der Hund schnell und nachhaltig ein neues und erwünschtes Verhalten lernt, welches das alte und unerwünschte ersetzt. Bei Rassen, die auf Kooperation mit dem Menschen gezüchtet sind und den „will to please“ quasi im Blute tragen, ist das oft einfacher als beim unabhängigen Herdenschutzhund. Arbeitet man mit Futter als Verstärker, sollte die Belohnungsqualität und -quantität erst einmal sehr hoch angesetzt werden. „Herdis“ sind Verhaltensökonomen und wägen sehr genau ab, ob es sich lohnt, für den präsentierten Verstärker das avisierte Verhalten zu zeigen.
Viele Herdenschutzhunde haben einen massigen Körperbau. Das bedeutet, dass ihnen Bewegung mehr Energie und Kraft aufwand abverlangt als beispielsweise einem italienischen Windspiel. Für den schweren Hund ist also eine normale Belohnung, für die er eine verhältnismäßig höhere Kraft aufwendung erbringen muss, per se weniger wert als für einen filigranen, sehr bewegungsfreudigen Vierbeiner. Abseits vom Futter bieten sich im Training Verstärker an, die den Rasseeigenschaften nahekommen bzw. Dinge, die der Hund gern tut. Rassetypische Verhaltensweisen der Herdenschutzhunde sind für die Menschen oft mals entweder „unerwünscht“ (z. B. Verteidigung der Ressource Bezugsperson) und/oder im Training schlecht nutzbar (z. B. Verbellen eines Eindringlings). Wichtig im Training ist häufig, dass der Herdenschutzhund die Möglichkeit hat, selbst entscheiden zu können, ob er sich der Situation entziehen kann. Viele Hunde dieser Rassen bekommen Stress, wenn sie z. B. durch eine sehr kurze Leine in der Trainingssituation „gefangen“ sind. Sie könnten dann mit Aggression reagieren oder mental aus dem Training „aussteigen“. Haben wir es mit Hunden zu tun, die noch nicht gut geübt sind, mit dem Menschen zu arbeiten, sollte diese Kooperationsbereitschaft zunächst aufgebaut und verstärkt werden, bevor am eigentlichen Trainingsziel gearbeitet wird.
Insgesamt ist ein Herdenschutzhund wie jeder andere Hund sehr individuell und hat ganz eigene Bedürfnisse und Wünsche, die sich aus seinem individuellen Leben ableiten.
Orientiert man sich an diesen individuellen Bedürfnissen des Hundes und seinem Charakter, „funktioniert“ Training mit ihnen genauso gut und schnell wie mit jedem anderen Hund!
Training bei Territorialität
Foto: fizzycolors - Fotolia.com
Die typische Herdenschutzhundproblematik ist das Verteidigen seines Grundstücks gegen Besucher und erst recht gegen Hunde. Um dennoch Besuch empfangen zu können, sind hier mehrere Maßnahmen erforderlich und möglich. Zum einen muss es Managementmöglichkeiten geben. Zum anderen kann gezielt trainiert werden. Management bedeutet, die Situation so zu gestalten, dass nichts passieren kann.
Ein abgetrennter Gartenbereich oder ein extra Zimmer sind hierfür sehr hilfreich. Der Hund darf solange keinen Kontakt mit dem Besuch haben, wie nicht klar ist, ob es für den Besuch gefährlich werden könnte. Erst wenn dieser das Grundstück wieder verlassen hat, darf der Hund seine Freiheit wiederhaben. Diese Kontrolle ist wichtig, weil man den Hund kaum die ganze Zeit im Auge behalten kann.
Bei diesem Problem ist es sinnvoll, daran zu arbeiten, dass der Hund zwar einen Teil seines „Jobs“ erledigen darf (z. B. den Besuch am Gartentor melden), dann aber alternative Verhaltensweisen kennt (z. B. zum Hundebesitzer gehen / sich von ihm abholen und anleinen lassen).
Viele Herdenschutzhunde machen aber nicht nur ihre Arbeit in Form eines erlernten und/oder genetisch fixierten Verhaltens, sondern empfinden dabei tatsächlich negative Emotionen wie Angst und/oder Stress. Diese müssen im Training verändert werden, so dass der Hund dem Besuch zumindest neutral gegenübersteht. Sonst wird es irgendwann zu einem Unglück kommen!
Training auf Basis positiver Verstärkung ist unabdingbar, denn ein genetisch fixiertes Verhalten wie das Territorialverhalten kann nicht „weggeschimpft “ werden.
Alternativ kann der Hund auch lernen, sich in Gegenwart eines Besuchers auf einem speziellen Ort aufzuhalten, zum Beispiel seiner Liegedecke abseits des Besucherempfangs. Die Aufgabe, die der Hund nun lernt, ist, auf dieser Decke zu liegen, bis der Besucher wieder gegangen ist.
Wichtig ist hier, dass der Besucher mit dem Hund dennoch nicht alleingelassen wird und auch beim Aufstehen vom Gesprächstisch immer ein Auge beim Hund ist, ob er seine „Liegeaufgabe“ noch erfüllt. Als Belohnung für das Liegenbleiben bietet sich häufig das Beobachtenkönnen der Situation sowie das nachfolgende Patrouillieren, wenn der Besucher verschwunden ist.
Eine Absicherung ist dennoch in jedem Fall geboten. Zeigt der Hund Aggressionsverhalten während des Spaziergangs, ist ohne Wenn und Aber ein Maulkorb erforderlich. Für viele Herdenschutzhunde ist „Spazierengehen“ sehr anstrengend, da sie immer von Neuem mit zwei- und vierbeinigen Eindringlingen in ihrem Territorium auseinandersetzen müssen. Auch frühe Gewöhnung an andere Hunde und Menschen können die Probleme oftmals nur mildern, aber nicht immer ganz verhindern.
Herdenschutzhunde sind soziale Tiere und brauchen ebenso den menschlichen Kontakt, Auslastung und Liebe wie jeder andere Hund. Foto: Pixabay.com Passt ein Herdi zu mir?
Grundsätzlich sollte sich jeder genau überlegen, ob ein Herdenschutzhund in seiner Hand die Bedingungen vorfindet, um ein zufriedenes Leben führen zu können. Und ob man selbst in der Lage ist, mit den eventuell auft retenden Problemen zurechtzukommen. Viele dieser Hunde sind sehr groß, schwer und kräftig – wie sind die Kräfteverhältnisse zwischen ihm und seinem Menschen, wenn es brenzlig wird?
Herdenschutzhunde werden oft erst spät erwachsen. Viele rassetypischen Eigenschaften treten somit erst mit ca. 3 Jahren auf. Es kann also durchaus passieren, dass ein zweijähriger Kangal keinerlei Probleme mit den Freunden des Sohnes hat und 1 Jahr später beginnt, diese vor der Tür zu stellen. Andersherum sieht man aber auch bei Welpen häufig schon rassetypisches Verhalten, wenn man genau hinschaut – z. B. das Ablaufen der Gartengrenze oder Verteidigung von Ressourcen wie Spielzeug oder Futter. Es wird für den Besitzer aber oft erst zum Problem, wenn der Hund nicht mehr klein und niedlich ist!
Tierschutzorganisationen sollten genau hinsehen, welche Rassen ihre Vermittlungshunde beinhalten könnten. Entpuppt sich der Golden-Retriever-Mischling aus Griechenland nämlich bei seiner deutschen Adoptantenfamilie als Herdenschutzhund oder Mischling daraus, wird der arme Hund schnell zum Wanderpokal.
Ein Herdenschutzhund auf einem Bauernhof auf dem Land wiederum kann genau dort die perfekten Bedingungen für sich finden. Aufpassen auf Grundstück und seine Besitzer und dennoch genug Auslauf und Beschäftigung kann das Leben in der Herde durchaus ersetzen. Hunde sind extrem anpassungsfähig, so auch der Herdenschutzhund, und seine innere Ruhe und Eigenständigkeit hat viele Liebhaber. Wie bei jeder Rasse gilt aber auch hier, sich genau anzuschauen, ob es nicht nur dem Menschen mit dem Hund gutgeht, sondern auch dem Hund mit dem Menschen!