Gedanken einer Züchterin
Dr. Kerstin Röhrs ist Tierärztin und Züchterin. Sie erlebt immer wieder, welche Gerüchte kursieren und welche realen Probleme im Zuchtgeschehen existieren. Wir haben sie nach ihrer Meinung zur Hundezucht heute gefragt.
FH: Was bedeutet Hundezucht für dich?
Dr. Kerstin Röhrs: Für mich bedeutet Hundezucht, dass ich Menschen, die sich einen Hund anschaffen wollen, die Gelegenheit gebe, Hunde „meiner Rasse“ kennenzulernen, alle Fragen zu stellen, die ihnen wichtig sind, und mit mir zusammen zu entscheiden, ob sie und ein Welpe von mir zusammenpassen könnten. Es bedeutet zudem, dass ich als Züchter nachweisen kann, dass ich meine Hunde nach bestem Wissen untersuchen hab lassen und dass sie gesund sind.
FH: Arbeitshunde, wie sie früher gebraucht wurden, gibt es nur noch wenige. Ist gezielte Hundezucht noch sinnvoll?
Dr. Kerstin Röhrs: Ich denke, es gibt viele Gründe, die für „gezielte Zucht“ sprechen. Arbeitsleistung ist nur einer von vielen. Gesundheit und Charaktereigenschaften, die darauf ausgerichtet sind, dass Hund und Mensch gut durch das alltägliche Leben kommen, sind mindestens genauso wichtig. Obwohl es natürlich niemals eine Garantie gibt, die man einem Welpeninteressenten geben kann, ist es sinnvoll, bei der Auswahl der Elterntiere umsichtig zu entscheiden.
FH: Welche Probleme können durch „falsche Zucht“ entstehen?
Dr. Kerstin Röhrs: Innerhalb einer Rasse ist die Population oft nicht mehr sehr groß. Viele rassespezifische Defektgene können sich daher ausbreiten, wenn man sich nicht mit Zuchtstrategien und populationsgenetischen Zusammenhängen auskennt. Äußerlich gesunde Hunde können dennoch Träger von Genen sein, die genetisch bedingte Erkrankungen hervorrufen und diese an Nachkommen weitergeben.
Diese Defekte betreffen nicht nur körperliche Erkrankungen, wie bspw. den MDR1-Defekt, der Einfluss auf die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke hat, sondern auch charakterliche Eigenschaften und Verhaltensauffälligkeiten. So kann, auch im Zusammenspiel mit Umweltbedingungen, z. B. ängstliches Verhalten vererbt werden. Das geschieht durch problematische Gene, die eine Rolle im neurochemischen Bereich spielen und Verhalten dadurch beeinflussen.
Viele genetisch bedingte Probleme oder Probleme, die sich aufgrund schlechter Aufzuchtbedingungen entwickeln, „schleppt“ ein Hund dann ein ganzes Leben mit sich.
FH: Was muss ein Züchter wissen und worauf muss er achten?
Dr. Kerstin Röhrs: Als Züchter muss man sich bemühen, sich auf dem aktuellen „Stand des Wissens“ zu halten – sowohl was Erbkrankheiten betrifft als auch bezüglich der Erkenntnisse aus dem Bereich „Hundeverhalten“. Er braucht grundlegendes Wissen im Bereich der Genetik und trägt eine große Verantwortung, was die Haltung und Aufzuchtbedingungen betrifft. Vor allem sollte er um Transparenz in der Zucht und im Zuchtverband bemüht sein, um genetische Probleme zurückzudrängen.
FH: Warum kann Zucht nur nach äußerlichen Merkmalen problematisch sein?
Dr. Kerstin Röhrs: Aussehen und Verhalten sind oft genetisch nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Wenn das Aussehen züchterisch verändert wird, greift man auch in die Funktion ein, die dieses Aussehen hatte.
Zum Beispiel können eine kurze Nase und daraus folgende medizinische Probleme beim Atmen Atemnot und Schnarchgeräusche bewirken, die wiederum zu ständiger Erstickungsangst oder zu massiven Problemen mit anderen Hunden führen können, die das Schnarchen als Bedrohung empfinden.
Wenn bei der Auswahl der Zuchttiere zugunsten des Aussehens die Charaktermerkmale nicht berücksichtig werden, werden z. B. auch unerwünschte Eigenschaften vererbt.
Man weiß heute, dass bestimmte Eigenschaften, z. B. eine Veranlagung zur „Ängstlichkeit“, vererbt werden. Wesensfestigkeit beim Hund entscheidet darüber, ob dieser in seiner Umwelt bei seinem Besitzer zurechtkommt oder ob Probleme entstehen, die alle Beteiligten massiv belasten können. Ein guter Züchter wird deshalb bei der Auswahl der Zuchttiere nicht nur auf das Äußere achten, sondern vor allem auch auf die „inneren Werte“.
FH: Reicht es, einen lethargischen und einen wilden Hund zu verpaaren, um vernünftige Welpen zu erhalten?
Dr. Kerstin Röhrs: Nein, leider funktioniert die Genetik nicht so einfach! Die meisten Merkmale eines Hundes, vor allem Verhaltensmerkmale, werden nicht durch ein einziges Gen codiert, sondern durch viele verschiedene Gene bzw. Genkombinationen. Hier sind vor allem die Gene betroffen, die den Neurotransmit-terhaushalt steuern.
Verhalten entwickelt sich jedoch nicht ausschließlich durch Gene, sondern zum großen Teil durch Einwirkungen von außen. So spielen die Prägephasen beim Züchter und die Sozialisierung und Erziehung beim Halter eine sehr große Rolle. Ob lethargische oder wilde Hunde also dieses Verhalten auch vererben können, ist von außen an einem Hund nicht ablesbar.
FH: Sollte jede Hündin (evtl. aus gesundheitlichen Gründen) einmal im Leben geworfen haben? Warum oder warum nicht?
Dr. Kerstin Röhrs: Früher ist man davon ausgegangen, dass eine Hündin, die einmal Welpen hatte, ein geringeres Risiko hat, Gebärmutterentzündung oder -krebs zu bekommen. Das ist veraltet und hat sich nicht als richtig erwiesen. Tatsächlich gibt es keinen wissenschaftlich erwiesenen Grund für diese Annahme.
FH: Sind Mischlinge gesünder als Rassehunde?
Dr. Kerstin Röhrs: Nein. Die Nachkommen tragen das Erbmaterial der Elterntiere in sich – egal ob es sich um „Rassehunde“ oder Mischlinge handelt. Daher ist es wichtig zu wissen, ob die Eltern oder sogar noch besser weitere Generationen (Großeltern, Urgroßeltern) gesund sind oder waren. Bei Rassehunden, die von einem guten Züchter stammen, der sich darüber Gedanken macht, ist die Wahrscheinlichkeit für eine genetisch bedingte Erkrankung geringer.
FH: Welche Aufgabe hat der Züchter nach der Verpaarung?
Dr. Kerstin Röhrs: Vom Moment der Verpaarung an hat auch die Umwelt auf die tragende Hündin Einfluss und auf den ungeborenen Welpen. Es ist Aufgabe des Züchters, die Mutter gesund und stressarm zu halten und auszulasten und dem Nährstoffbedarf angepasst zu füttern. Wenn die Welpen geboren sind, ist es Aufgabe des Züchters, ihnen die Erfahrungen zukommen zu lassen, die sie für ihr Leben prägen können. Dazu gehört der Kontakt mit Menschen und anderen Hunden genauso wie das Kennenlernen verschiedener Geräusche und anderer Umweltreize.
Das Ziel ist es, dem Welpen genügend Erfahrungen zu ermöglichen, um ein möglichst angstfreies, selbstbewusstes, sicheres Leben führen zu können.