Familie mit Hund
In Deutschland sind Hunde kaum mehr wegzudenken und spielen für viele Menschen eine wichtige Rolle im Leben. Dennoch sind Hunde keine Kuscheltiere und können Unfälle verursachen, vor allem wenn Kinder in der Familie leben. Mit der Expertin für Hund und Kind Aurea Verebes haben wir darüber gesprochen, welche Probleme das Zusammenleben mit Hunden in der Familie mit sich bringen kann und wie man diesen am besten vorbeugt.
Familienhund: Wird deiner Meinung nach genug über das Zusammenleben von Kind und Hund gesprochen?
Aurea: Die Antwort ist ganz einfach: JA! Es wird unglaublich viel über Kind und Hund gesprochen. Die meisten Klicks bei You-tube-Videos findet man unter anderem Bei Kind/Hund-Bildern oder -Videos. Der Punkt ist, WIE darüber gesprochen wird – und das ist das eigentliche Problem.
Familienhund: Wie wird denn darüber gesprochen?
Aurea: Was mir in den Diskussionen fehlt, ist zum einen das kritische Hinterfragen, ob sich in dieser Situation ein mögliches Gefahrenpotential befindet, und zum anderen, dass auch ein Hund Bedürfnisse hat, die man berücksichtigen sollte.
Erst einmal sollte grundsätzlich ein Dialog entstehen, der an echtem Wissensaustausch interessiert ist – und das geht nur über das Aufklären durch Seminare, Vorträge oder Interviews wie dieses hier.
Zu oft geht es in den Videos und auch auf den Bildern darum, wie niedlich etwas ist oder wie hübsch das Kind aussieht. Wie es dem Hund damit geht, wird ganz oft nicht gesehen. Wenn das Kind auf dem Hund sitzt und gefeiert wird, sehe ich jedoch, dass der Hund in dieser Situation massiven Stress hat, sich gerade noch zurückhält. Die Gefahr, dass er das beim nächsten Mal nicht mehr schafft, ist sehr groß. In der Diskussion um Hunde und Kinder werden Hunde so oft als Kuscheltiere und reine Spielgefährten gesehen und es wird vergessen, dass ein Beutegreifer mit in der Familie lebt, der ganz andere Bedürfnisse hat.
Familienhund: Worüber würdest du gern mehr hören, sprechen, lesen?
Aurea: Ich würde wahnsinnig gern mehr darüber lesen, wie erfolgreiche Wissensanreicherung umgesetzt wird. Wie Menschen, die sich belesen oder Seminare zu dem Thema besucht haben, ihr Verhalten änderten. Denn genau diese Berichte animieren, das eigene Handeln zu überdenken.
Es muss darüber gesprochen werden, wie Kinder lernen, rücksichtsvoll mit dem Hund umzugehen. Es muss diskutiert werden, wie Hunde lernen können, Situationen als sicher einzuschätzen und sich nicht bedroht zu fühlen. Wir müssen lernen, unsere Kinder in der Hundesprache zu unterrichten. Es gibt so viel, was wir voneinander lernen müssen, aus Respekt vor dem anderen Lebenwesen und um Unfälle zu vermeiden.
Familienhund: Du bist viel in Familien mit Hund unterwegs. Weswegen wirst du vor allem gerufen?
Aurea: In ca. 80 % der Fälle werde ich gerufen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Wenn es also schon Situationen gab, in denen der Hund Drohverhalten gezeigt hat oder gar gebissen hat. 10 % haben Schwierigkeiten draußen beim Spazieren mit Kind und Kegel und die restlichen 10 % bemühen sich um eine Prävention, damit keine Unfälle passieren. An diesen Zahlen kann man wunderbar ablesen, WARUM es zu so vielen Unfällen Zuhause kommt. Im Grunde müsste das Verhältnis umgekehrt sein. Leider beißt sich da die Katze in den Schwanz, weil viele HundehalterInnen keinen Grund sehen, vorzusorgen und die Gefahr nicht erkennen – bis es dann zu spät ist.
Familienhund: Was ist der häufigste Grund für Probleme zwischen Kind und Hund?
Aurea: Mit der häufigste Grund für Probleme im Haushalt mit Kind und Hund ist tatsächlich die Distanzlosigkeit vom Kind zum Hund. Das Kind spielt (ungefragt) mit dem Hund, aber eben alterstypisch oft sehr grobmotorisch, das Kind liegt oder umarmt den Hund. Es erkennt nicht, dass das dem Hund unangenehm ist oder er sogar Angst hat, und dann wehrt er sich hundetypisch. Da Kinder mit ihrem Gesicht viel eher auf Hundehöhe sind, kann schon ein hundetypisches Warnsignal wie das Abschnappen zu schweren Verletzungen im Gesicht führen. Aber es reicht auch schon, wenn der Hund plötzlich aufspringt vor Schreck und das Kind umwirft und es sich dadurch verletzt.
Alle Situationen, denen der Hund nicht ausweichen kann oder das Konzept des Ausweichens vielleicht gar nicht kennt, sind potentiell sehr gefährlich für Kinder.
Familienhund: Sobald das Baby mobiler wird, nimmt es in der Familie viel Raum ein und Gefahrenstellen entstehen. Was kann passieren?
Aurea: Stimmt, der Übergang vom liegenden zappelnden Bündel hin zu einem sich fortbewegenden Etwas ist für Hunde oft gruslig. Sie können überhaupt nicht einschätzen, was dieses kleine Lebewesen als nächstes tut. Diese Zeit ist mit den häufigsten Abgaben des Familienhundes verbunden. Die Gefahrenstellen ergeben sich hauptsächlich aus der Grobmotorik des Kindes und den unterschiedlichen kognitiven Entwicklungsstufen. In der oralen Phase z. B., also mit ca. 5 Monaten, wird immer wieder beobachtet, dass Babys auch die Ohren oder die Rute des Hundes in den Mund nehmen, und das ist einfach enorm gefährlich. Die Händchen können die Intensität des Greifens noch nicht regulieren, oft ist zu beobachten, dass sie ins Fell greifen und das so unsanft, dass es den Hund schmerzen kann. Kleine Kinder piksen in die Ohren und Nasenlöcher, begutachten stundenlang Zehen und Rute und haben noch nicht die Fähigkeit, auf die Emotionen des Hundes zu reagieren oder zu erkennen, wenn es diesem zu viel wird. Der Hund reagiert mit Schreck oder Abwehr, und der Unfall ist da. Die Liste ließe sich noch deutlich länger fortführen und daran sieht man, dass dieses Alter ganz besonders viel Aufmerksamkeit benötigt.

Familienhund: Wie beuge ich diesen Gefahren vor?
Aurea: Da das Kind kognitiv noch nicht in der Lage ist, Anweisungen zu verstehen, ist die einzige Möglichkeit das konsequente Managen von Situationen. Das heißt das Trennen durch Türgitter, das Nutzen der Hausleine und die Supervision, wenn Kind und Hund in einem Raum sind. Unter keinen Umständen sollte eine Box genutzt werden oder eine Hausleine, wenn das Kind unbeaufsichtigt herumkrabbelt. In beiden Fällen hat der Hund keine Möglichkeit zu fliehen, wenn das Kind zu nah an Box oder Leine kommt - und dann muss er sich anders Platz verschaffen. Eine 24-Stunden-Aufsicht muss gut geplant und vorbereitet werden. Das macht den Alltag mit Kind und Hund nochmal etwas schwerer.
Familienhund: Wie erziehe ich meinen Hund, damit nichts passiert?
Aurea: Es gibt kein „Geheimrezept“ für die Hundeerziehung zum perfekten Familienhund, einfach, weil es nicht nur der Hund ist, der lernen muss. Wichtige Elemente, die einem Hund in der Familie helfen und die für mehr Sicherheit sorgen, sind zum Beispiel das Lernen, Dinge herzugeben, die dem Hund wichtig sind, das Heranführen an schnelle visuelle Reize, ohne hinterherzuhetzen, und das Entspannungstraining, damit der Hund auch in Gegenwart vieler Reize entspannt ruhen kann bzw. sich nach Aufregung selbst rasch abregen lernt. Mit dem Hund können viele Situationen präventiv geübt werden und mit ihm alternatives Verhalten trainiert werden. Dennoch ist nicht alles vorhersehbar und hier sind die Menschen gefragt.
Familienhund: Wie erziehe ich mein Kind, damit nichts passiert?
Aurea: Die Kindererziehung dauert bekanntlich ein wenig länger als die Hundeerziehung. Wirkliche Sicherheit erhalte ich als Mutter aber nicht, indem ich meinem Kind ein „Gehweg“ antrainiere, wenn es den Hund sieht, sondern, indem ich ihm ein Grundverständnis für die Bedürfnisse des Hundes vermittle, denn dann kommt die Erkenntnis ganz von allein. Ich ziehe sehr oft Vergleiche in die Menschenwelt, frage, wie sich ein Kind fühlt, wenn es bedrängt wird und wie es wohl dem Hund dabei geht. Dieses Spiegeln können auch Kleinkinder schon rudimentär gut nachvollziehen. Karl Valentin sagte einmal: „Es macht keinen Sinn, Kinder zu erziehen. Sie machen uns eh alles nach“, und er hat recht. Wir dürfen als Eltern unsere Vorbildfunktion nicht unterschätzen. Gehen wir sorgsam und respektvoll mit dem Vierbeiner um, werden unsere Kinder es uns gleichtun. Es gibt einige wissenschaftliche Studien darüber, dass Kinder, die selbst Gewalt erfahren haben, selbiges bei ihren Geschwistern oder Haustieren tun.
Familienhund: Was kann ich beeinflussen und was geht vielleicht nicht zu beeinflussen?
Aurea: Eltern können viel beeinflussen wie beispielsweise, dass der Hund in vielen Situationen schon gelernt hat, was er tun kann, um auszuweichen. Oder schon bei der Auswahl des Hundes und der Prägung und Sozialisierung des jungen Hundes. Auch über die Art des Trainings kann ich Hunde sicher genug machen, um in möglichst vielen Situationen entspannt zu bleiben.
Doch natürlich gibt es Situationen, die sich nicht beeinflussen lassen – das kann eine spontane Krankheit des Hundes oder des Kindes sein. Es kann ein Umzug oder Partnerwechsel sein. Diese Veränderungen der Gegebenheiten führen auch zu einer Veränderung des Verhaltens des Hundes und das kann mit einem erhöhten Risikopotential einhergehen, dass der Hund unerwünschtes Verhalten dem Kind oder der Familie gegenüber zeigt.
Aurea: Diese Aussage ist natürlich sehr pauschal, aber auch sehr angebracht, weil sie verhindert, dass sich jemand davon ausgenommen fühlt. Grundsätzlich empfehle ich bis zum siebten Lebensjahr keine unbeaufsichtigte gemeinsame Zeit. Ich habe immer wieder Kunden im Training, die sich nicht darüber im Klaren waren, dass auch ein älteres Kind den Hund unsachgemäß anfassen kann oder sich Situationen ergeben, die nicht steuerbar sind. Der Hund hat unbemerkte Schmerzherde, das Kind streichelt just an der Stelle und der Hund fängt an zu knurren oder schnappt. Es tut keinem weh, lieber für zu viel Sicherheit zu sorgen, es tut aber weh, wenn der Hund das Kind anknurrt oder beißt, denn HAT er es einmal getan, ist die Chance sehr hoch, dass er es wieder tut. Dieser Spirale kann man entgehen, wenn man im Vorfeld dafür sorgt, dass keine potentiellen Situationen auftreten.
Familienhund: Was sehen Hunde in Kindern? Brüder, Konkurrenten?
Aurea: Was Hunde in Kindern sehen, kann ich nur hypothetisch beantworten. Geschwister sicher nicht, dafür laufen sie zu wenig auf vier Beinen und haben eindeutig zu wenig Fell. Ich würde auch nicht vermuten, dass sie sich als Konkurrenten betrachten, weil sie eben artfremd sind. Ich finde es auch wichtig, dass man von diesem Konkurrenzgedanken loskommt, weil das eben impliziert, dass der Hund sich einen Vorteil verschaffen will und über dem Kind steht, und das ist quatsch. Ich denke, sie sehen in Kindern Lebewesen ohne eine nähere Spezifizierung. Meine Kinder allerdings sehen unsere Hunde als ihre felligen Geschwister und ich bezeichne sie auch so, aber mehr, weil ich alle als meine Schutzbefohlenen sehe.
Familienhund: Ab wann können Kinder Verantwortung für Hunde übernehmen?
Aurea: Das kommt sehr darauf an, wie man Verantwortung definiert. Wenn es um die Futtergabe geht z. B. würde ich auf jeden Fall bis zum jungen Erwachsenenalter warten. Kleine Aufgaben, die das Verantwortungsbewusstsein stärken, können jedoch unter Anleitung angeboten werden, das gemeinsame Kämmen z. B.
Familienhund: Ab wann dürfen Kinder mit Hunden spazieren gehen?
Aurea: Unter dem 14. Lebensjahr auf keinen Fall alleine! Das hat nicht nur einen rechtlichen Hintergrund, sondern auch einen entwicklungstechnischen. Es geht ja nicht nur um den eigenen Hund. Selbst wenn dieser erzogen ist und nicht an der Leine zieht, ist der entgegenkommende Hund unberechenbar. Was macht ein 8-jähriges Kind, wenn der Hund plötzlich anfängt zu drohen? Es wird überfordert sein.
Familienhund: Im Vergleich der Unfallstatistiken passiert mit Hunden recht wenig, aber wenn, dann vor allem in der eigenen Familie. Halten Hunde doch mehr aus als angenommen?
Aurea: Da möchte ich gleich ein kleines Veto einlegen. Wenn man den offiziellen Zahlen glaubt, ist das so. Leider zeigt meine und die Erfahrung von vielen Kollegen, dass sicher 70 Prozent der Unfälle Zuhause gar nicht registriert sind. Die Gründe sind vielfältig. Scham, Versagensangst, aber auch die Angst, den Hund abgeben zu müssen, spielen eine große Rolle. Wie viele Unfälle mit Hunden also tatsächlich passieren, können wir nur erahnen.
Familienhund: Was wünschst du dir von Familien mit Hund?
Aurea: Ich wünsche mir, dass Familien sich mehr mit dem Thema Prävention auseinandersetzen und nicht den Fehler begehen, davon auszugehen, dass der eigene Hund niemals beißen würde. Das ist die Annahme, die dazu führt, dass ich verzweifelte Anrufe erhalte. Bissprävention bedeutet nicht nur das Verhindern eines Beißvorfalls, sondern auch, dass man ein faires, respektvolles Miteinander pflegt – und das geht nur, wenn man sich mit den Bedürfnissen des felligen Familienmitgliedes auseinandersetzt.