Gassi gehen mit besonderen Hunden
Nicht mit jedem Hund kann man einfach mal so spazieren gehen, ohne darüber nachzudenken, wann man geht, wo man geht und wie man verschiedene Situationen umschifft. Katrien Lismont hat sich diesem Thema gewidmet. Sie zeigt auf, wie das Spazierengehen auch mit einem besonderen Hund erholsam sein kann.
Wenn man einen Hund hat, der sich in manchen Situationen kompliziert verhält, können die alltäglichen Gassirunden schon mal anstrengend werden. Mit Aufregung kann gefährlich werden kompliziert“ meine ich die Hunde, die entweder auf viele Auslöser sehr körperlich oder laut reagieren, mit viel Angst und Unsicherheit durch das Leben gehen, draußen extrem reizbar sind und insgesamt schlecht ansprechbar sind. Oftmals reden wir von einer Kombination all dieser Symptome, die dazu führt, dass die täglichen Gassirunden keinen Spaß machen, weder für Mensch noch für Hund.
Dabei sollten doch die Gassirunden zu den schönsten Ereignissen des Alltags mit Hund werden. Man kommt an die frische Luft , man bekommt selber ausreichend Bewegung, man kann die Natur mit all ihren unterschiedlichen Sinnesreizen auf sich wirken lassen, die Jahreszeiten und ihre Übergänge genießen und sich zusammen mit seinem besten Freund den Kopf freilaufen. So war der Plan. Und dann kam dieser eine Hund, der sich so ganz anders verhält. Der nicht gelassen bleibt, wenn stärkere Gerüche seinen Weg kreuzen, der bei schnell fahrenden Verkehrsmitteln zu einer Gefahr für sich selbst und den anderen wird, der andere Hunde anbrüllt oder bei Sichtung eines Joggers die Fassung verliert. Es gibt die ängstlichen Hunde, die einem ständig durch ihr Erstarren und Einfrieren die Freude am Spaziergang nehmen. Und es gibt auch die Hunde, die generell so hoch erregt sind, dass jeder Vogel ein Auslöser für unkontrolliertes Bellverhalten wird. Kurzum, es sind Hunde, die eines gemeinsam haben: Sie sind draußen keineswegs gelassen, ihr Nervensystem gleicht einem Computer, bei dem zu viele Tabs offen sind und dessen System sich „aufhängt“. Sie sind überfordert mit dem Alltag.
Alle Hunde brauchen Outdoorzeit
Und dennoch sollten auch diese Hunde aus den eigenen vier Wänden rauskommen. Denn Bewegung, frische Luft , Anregungen für alle Sinne und sich draußen lösen können gehören zu ihren Basisbedürfnissen. Gerade die Gassirunden sind sehr häufig ein gemeinsamer Qualitätsmoment, der fest im Alltagsprogramm verankert ist. Für mich persönlich dienen die Gassirunden zur Sozialisierung, zum Üben von Spaß und Erziehung und zum Training der beidseitigen Kommunikation. Warum könnten sie denn nicht dazu beitragen, das Verhalten des Hundes zu verändern? Denn einerseits kann man die Spaziergänge so gestalten, dass sie therapeutisch und wohltuend wirken (beruhigend, anregend, stressabbauend) und andererseits kann man – egal wie und wo man wohnt, die Strecken so wählen, dass die Verursacher, die Auslöser des unerwünschten Verhaltens, zu bewältigen sind und man an ihnen lernen kann. Täglich.
Schwierigkeiten gemeinsam überwinden auf dem Spaziergang stärkt Bindung und Selbstwirksamkeit. Foto: Pixabay.comIndividuell für jeden Hund
Nicht selten stelle ich fest, dass Hunde zu wenig an die Luft kommen. Noch häufiger scheint es mir so zu sein – vor allem bei Hunden, die für den Besitzer sehr schwer zu händeln sind –, dass sie mit den Gassirunden schier überfordert werden. Die Dauer, das Tempo, die Strecke, das Gelände, die Menge der Reize entlang der Runde, überhaupt die Anforderungen, die an Körper, Geist und Psyche des Hundes gestellt werden, überwältigen ihn nicht selten. Mit der besten Absicht versucht man Hunde „müde“ zu laufen: länger, schneller, weiter. Und gerade das kann wie Öl ins Feuer wirken. Was für jeden Hund individuell passend ist, findet man heraus, wenn man anfängt, seinen Hund genauer zu beobachten.
Geht Ihr Hund zum Beispiel erst nach ausdrücklicher und wiederholter Aufforderung mit Ihnen nach draußen, dann kann es sein, dass ihm in der Vergangenheit die Spaziergänge nicht gutgetan haben: körperlich, geistig oder emotional.
Macht er in der Mitte der Runde schlapp, lässt er sich zurückfallen, setzt oder legt er sich hin, ist er womöglich überfordert von dem, was war oder noch kommen wird.
Im Grunde sollten wir das Verhalten genauso verstehen, wie der Hund es meint und nicht versuchen, Charaktereigenschaft en hineinzuinterpretieren. Wenn Ihr Hund sich hinsetzt und nicht mehr weiterlaufen will, dann hat dies nichts mit Dominanz, Sturheit oder einer sonstigen Vermenschlichung zu tun. Es fordert einfach etwas Empathie und die Bereitschaft , die Welt durch die Augen des Hundes zu betrachten, um herauszufinden, was genau ihn überfordert oder zögern lässt. Hunde werden immer zunächst zögern, bevor sie ausrasten. Oft erkennen wir die kleinen Signale nicht und überfordern den Hund dann. So kann er irgendwann nur noch auf Plan B zurückgreifen und laut werden. Je öft er er übersehen und überhört wird, desto schneller kommt der gefürchtete Plan B zum Tragen.
Flexibel bleiben
Lange Strecken durch Wald und Wiesen sind schön, ohne Frage. Sie erlauben uns, ins Grüne abzutauchen, Stichwort „Waldbaden“. Natur, frische Luft und regelmäßige Bewegung sind wichtig für Kreislauf, Gelenke, Muskeln, Stoffwechsel und eine ausgewogene Auslastung – wenn das Gelände und die Länge der Strecke den Hundekörper und sein Nervensystem nicht überfordern. Manchen Kundinnen und Kunden lege ich dies zur Anfangszeit des Verhaltenstrainings ans Herz: einfach unterwegs sein zu können ohne Stressmomente, so dass der Hund das „Draußensein“ nicht mehr mit Erregung verknüpft . Doch finde ich nicht, dass es für jeden Hund in Ordnung und realistisch sein kann, ein Leben lang alleine im Wald unterwegs zu sein. Das Leben und der Alltag stehen nicht still und es wird immer Situationen geben, in denen wir keine Wahl haben, als woanders mit dem Hund unterwegs zu sein, auch wenn man es am liebsten vermeiden möchte. Es kommt immer auf das Verhalten, die Erregung, die Belastbarkeit, die Runde an sich an und die Möglichkeit, die Situationen im Hier und Jetzt zu meistern. Es gibt kein Standardmaß, das für jeden Hund passend wäre. Man sollte flexibel bleiben und dazu bereit sein, sich an die aktuellen Befindlichkeiten des Hundes anzupassen. Vor allem sollte man dazu bereit sein, den Horizont zu erweitern, sowohl in Bezug auf die Umgebung als auch das Aufkommen der Reize.
Typische Überforderungssignale
Während des Gassigehens können Sie viele Signale sehen, die für eine Überforderung sprechen können:
- immer hinten laufen
- sich an bestimmten Stellen zurückfallen lassen
- übermäßig viel schnüffeln (Zeit gewinnen)
- sich auffällig viel schütteln, wälzen, zum Kratzen hinsetzen
- sich hinsetzen, hinlegen und nicht mehr weitergehen
Das sind alles Verhaltensweisen, die uns zwar den Nerv rauben, uns jedoch sehr mitteilen, dass es zu lang, zu schnell, zu viel oder zu belastend ist. Mental, emotional oder körperlich. Manche Hunde zeigen uns ihre Überforderung auch durch „deutlicheres“ Verhalten:
- in die Leine beißen, „hochsprudeln“ in allen Formen
- Aufmerksamkeit und Orientierung an der Person lassen nach, der Radius wird größer
- Kommunikation und Kooperation werden schwächer oder verschwinden
- Bewegungen und Reaktionen werden schnell und zackig, mit wenigen Pausen
- Jagdverhalten in den unterschiedlichsten Formen wie z. B. Buddeln
Erregung – Aufregung – Freude?Gemeinsame Spaziergänge sind das Highlight des Tages. Sie sollen Spaß und Gemeinsamkeit bringen, das Miteinander festigen und zur Entspannung beitragen. Foto: Pixabay.com
Nehmen wir das Beispiel vom Buddeln: Was gern als „Hobby“ beschrieben wird, ist oftmals eine Flucht in ein selbstverstärken des Verhalten. Wenn Sie hier skeptisch sind, dann empfehle ich Ihnen, einfach mal Buch darüber zu führen, wann und wie oft und an welchem Ort genau Ihr Hund auf diese Art von Verhaltensweisen zurückgreift. Ein zusätzliches Bonusprogramm der Natur ist, dass diese Verhaltenweisen, die genetisch programmiert sind, selbstbelohnend sind, und sich sehr rasch verfestigen und verketten. Das ist der Grund, warum ich einfaches „Mäusebuddeln“ sehr häufig als „Symptom“ für eine gesteigerte Erregung betrachte und nicht als Möglichkeit, einen Hund sich selber artgerecht beschäftigen zu lassen. Allerdings sollte man sich hier nicht nur auf das, was während des Gassigehens passiert, konzentrieren, sondern das große ganze Bild betrachten.
Schließlich ist es logisch, dass der Neuankömmling aus dem Auslandstierschutz nicht die gleichen Voraussetzungen und Bedürfnisse mit sich bringt, wie Fido der II., der sich gerade nach 14 Jahren auf die letzte Reise begeben hat. Alter, Trainingsstand, mentale, emotionale und körperliche Fitness und ja auch Rassezugehörigkeit sollten in der Gestaltung der Gassirunde eine zentrale Rolle spielen. Dennoch ist es in meinen Augen nicht mehr normal, wenn ein Terrier oder Jagdhund nur noch Augen für den Wegrand hat in der Erwartung, dort einen Mäusesprung ausüben zu können.
Wie ist es richtig?
In meinen Augen sollten einige Elemente unbedingt berücksichtigt werden:
Die Selbstwirksamkeit, eine wirksame, aber nicht ausufernde Kommunikation, der Spaß und passende Anregung für Kopf und Körper, die Möglichkeit, die Situationen so zu verarbeiten, wie sie vorkommen, und sich danach wieder beruhigen zu können. Selbstverständlich sollte man diese Elemente in dem Rahmen der individuellen Möglichkeiten jedes Hundes einbauen und darauf achten, dass sie weder zur Routine noch zur Überforderung führen.
1. Selbstwirksamkeit
Beobachten Sie Ihren Hund und schauen Sie, welche Mikrosignale er Ihnen gibt, die Sie bisher eventuell nicht als Mitteilung verstanden haben: langsamer werden, schnüffeln, einen anderen Weg auswählen, vor Ihnen kreuzen, Sie zum Stillstand bringen wollen. Diese Signale sendet er bereits auf große Distanz. Noch lange bevor wir glauben möchten, dass diese mit einem in der Ferne wahrnehmbaren Auslöser zu tun haben könnten. Sie werden staunen: Ihr leinenreaktiver Hund wird es auch zeigen und zwar nicht nur, wenn Ihnen Hunde entgegenlaufen. Menschen, Gruppen, Kinder, Trecker, Fahrräder, Jogger und alles andere, was er sonst eigentlich so gut bewältigt. Lassen Sie ihn mitreden und helfen Sie ihm früher als bisher: längere Leine, die locker gehalten wird, etwas Zeit und mehr Distanz sind hier Schlüsselfaktoren. Ermöglichen Sie ihm Ruhe, um mit dem klarzukommen, wovor er im Moment zögert. Es ist Bestandteil von B.A.T., einer Trainingsmethode von Grisha Stewart, bei der es darum geht, die Bedürfnisse des Hundes zu sehen und mit ihnen zu arbeiten.
2. Effektive Kommunikation
Einige gut geübte Basissignale machen die Kommunikation zwischen Ihnen und Ihrem Hund zuverlässig. Dies ist gerade bei Hunden, die Freilauf genießen, unerlässlich. Gerade während des Spaziergangs kann man diese gut trainieren und vor allem generalisieren. Die Vertiefung von Übungen wie der Umorientierung, einer autonomen Aufmerksamkeit, Signalen wie „Sitz“, „Bleib“, „Abruf “, „U-Turn“ und „Stopp“ verschaff en Freude, Erfolg und gute Stimmung, wenn sie auf der Basis der positiven Verstärkung geschehen. Natürlich nicht alles an jedem Spaziergang, aber so, wie es gerade zu der Strecke und zur Tageszeit passt. Ihr Hund bekommt Freude an der Zusammenarbeit mit Ihnen, vorausgesetzt dass er zwischendurch ebenfalls zur Genüge seinen hündischen Lieblingsbeschäft igungen nachgehen kann. Das Resultat sollte sein, dass Ihr Hund einwandfrei auf die Signale reagieren kann, diese aber nicht ständig zu hören bekommt. Wenn Sie feststellen, dass Sie dem Hund alles vorsagen müssen, hinkt die Kommunikation, und vor allem nehmen Sie ihm den Raum zur Selbstwirksamkeit.
Das Training von Signalen für eine reibungslose Kommunikation kombiniert mit Suchaufgaben bildet unterwegs eine schöne Abwechslung. Foto: privat3. Spaß und Anregung für Kopf und Körper
Ein Spaziergang sollte dennoch nicht bedeuten, dass im gedrosselten Tempo von Tür zu Tür gelaufen wird, sondern Kopf und Körper sollten sich gern mal austoben können. Laufspiele, Suchaufgaben, Kletter- und Balanceübungen und eine Kombination davon, dies alles in Verbindung mit Aufmerksamkeit und etwas Impulskontrolle bringt Spannung und Freude in die Runden. Den „Kick“ kann man sich jeden Tag unterwegs holen und man sollte bitte nicht auf den wöchentlichen Mantrailing- oder Hooperstermin in der Hundeschule warten, um Freude und Anregung in das Hundeleben zu bringen. Ich persönlich baue unterwegs gern die Dreiecksübung ein: sie bringt Konzentration, Action, Suchaufgaben, Impulskontrolle und Aufmerksamkeit auf einen Nenner und wenn der eine oder andere Hund mal etwas zu jagdlich unterwegs ist, bekomme ich ihn damit meistens auf bessere Gedanken. In meinem Buch „Ums Eck Gedacht“ habe ich diese Übung in vielen Variationen und Erweiterungen beschrieben. Wenn man das will, geht Beschäftigung täglich! Aber auch ruhige und besonnene Aufgaben wie Futter suchen, balancieren und einfach selber Spuren nachlaufen sollten ihren Platz auf der Gassirunde haben.
4. Hier und Jetzt
Schließlich finde ich es wichtig, sich über die Auswahl und Dauer der Strecke im Voraus Gedanken zu machen. Dies verhindert, dass man immer wieder aus Situationen „flüchten“ muss. Denn wenn die Flucht angeboten wird, nachdem sich der Hund erregt zeigt, egal in welchem Umfang, riskiere ich durch Verknüpfung von Erregung und Flucht, das komplette Paket von erregtem Verhalten zu vertiefen. Daher empfehle ich, sich immer etwas „Reservezeit“ einzubauen, um die anfallenden Situationen in Ruhe und mit Zeit und Distanz zu bearbeiten. So kann ich durch die Auswahl der Strecke schauen, dass ich zeitig und in Ruhe Distanz gewinnen kann und dem Hund Zeit geben kann, aus der Distanz mit der Situation klarzukommen. Auch das ist Beschäftigung und sie trägt zum Lernen des Alltags bei. Auf diese Weise versuche ich den Spaziergang mit einem gefassten und ruhigen Hund anzufangen und genauso ruhig mit ihm nach Hause zu laufen. Dann ist es egal, ob die Strecke eventuell etwas gekürzt werden musste, aber ich weiß, dass wir im Bereich des Verhaltens vielleicht wieder einen Schritt weitergekommen sind.
Schließlich sind all diese Aspekte genauso wirksam und hilfreich für Hunde, die kein kompliziertes Verhalten zeigen. Denn wie ich anfangs bereits schrieb: Es gibt keine bessere Gelegenheit, regelmäßig und nachhaltig am Verhalten des Hundes zu trainieren als auf dem täglichen Spaziergang. Diese Qualitätszeit sollte jeder Hund mit seiner Person bekommen, denn ein besseres Mittel, ein starkes Vertrauenskonto aufzubauen, gibt es kaum.