Trennungsangst bei Hunden - Eine »Nebenwirkung« der Coronapandemie
Die langen Lockdown-Phasen seit Beginn der Corona-Pandemie gehen auch mit Besonderheiten in der Hundehaltung einher. Auf der Liste derer, die beklagenswert häufig übersehen werden, findet sich ein generell weit verbreitetes Problem: die sogenannte Trennungsangst. Sie zählt zu den (vermeidbaren) Problemen, die durch den Lockdown zunächst kaschiert wurden. Es steht aber zu befürchten, dass sie im Anschluss daran mit einer deutlich erhöhten Wahrscheinlichkeit auftreten wird – und zwar in vielen der neuen, aber auch in etlichen der bereits angestammten Hundehaushalte.
Alleinsein liegt Hunden nicht im Blut
Hunde sind hochsoziale Lebewesen. Die (vorübergehende, jedoch häufig mehrstündige) Isolation von Sozialpartnern ist für Hunde ein relevanter negativer psychischer Stressor. Dies gilt zunächst einmal grundsätzlich für alle Hunde. Kein in Menschenobhut aufgewachsener und in einer engen sozialen Gemeinschaft mit Menschen lebender Hund »liebt« es, wenn man ihn allein zurücklässt. Nicht jeder Hund jedoch hat Trennungsangst. Das Risiko, eine Trennungsangst-Problematik zu entwickeln, liegt also nicht alleinig am »Hundsein«. Vielmehr gibt es gewisse Bedingungen, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens in die eine oder andere Richtung verschieben.
Trennungsangst-Trigger
Um eine Phase sozialer Isolation mühelos und entspannt überstehen zu können, ist psychische Stabilität erforderlich. Von entscheidender Wichtigkeit sind hierbei die Gefühle Sicherheit und Geborgenheit. Tatsächlich ist die Sachlage aber etwas komplizierter, denn bei der Weichenstellung in Richtung einer Trennungsangst (oder im Rahmen einer Therapie in die entgegengesetzte Richtung) spielen auch andere Faktoren eine Schlüsselrolle.
Körperliches Wohlbefinden. Hunde, die körperlich kein umfassendes Wohlbefinden erleben, sind grundsätzlich anfälliger, auch auf psychischer Ebene zu dekompensieren. Bei ihnen bringen psychische Belastungen, die im Zustand von Wohlbefinden problemlos gemeistert werden könnten, das Fass zum Überlaufen. »Corona-Hunde«, gemeint sind Hunde, die erst während der Corona-Pandemie angeschafft wurden, sind erschreckend häufig weit entfernt von körperlichem Wohlbefinden. Und selbst bei optimaler medizinischer Versorgung, die zudem nicht selten aus Kostengründen vom Halter abgelehnt wird, werden sie dieses nie erreichen. Das ist vor allem den oftmals aus verhaltensmedizinischer und allgemein klinischer Sicht haarsträubenden »züchterischen« Machenschaften und schlechten Aufzuchtbedingungen geschuldet. Frei nach dem Motto »der Markt wollte bedient werden« wurde ein überaus fruchtbarer Nährboden für Verhaltensprobleme aller Art geschaffen – nicht zuletzt eben auch für Trennungsangst.
Psychisches Wohlbefinden. Viele Hunde sind dauerhaft oder (häufig) wiederkehrend psychisch in Not. Bestimmte Außenreize versetzen sie in Angst, ggf. auch Panik, oder lösen Wut oder Frust aus. Alle diese Emotionen stehen natürlich dem Erleben von Sicherheit und Geborgenheit entgegen. Wenn also ein Hund auf einer ganz anderen Ebene psychische Belastungen erfährt, ist er wiederum anfälliger, auch weitere Verhaltensprobleme zu entwickeln. Vor allem die Hunde, die bereits andere Angstprobleme haben, sind akut gefährdet, auch Trennungsangst zu entwickeln. Dies gilt speziell, wenn externe angstauslösende Reize (beispielsweise Geräusche, Gewitter) auch während der Phase des Alleinseins auf die Hunde einwirken oder die Hunde eine starke Überabhängigkeit zu ihren Bezugspersonen aufweisen.
Haltungsbedingungen und Training. Hunde, die im Alltag oder im Rahmen der Erziehung viel Druck und Strafen erfahren, fühlen sich nicht sicher und geborgen – zumindest nicht in diesen Situationen. Vor allem wenn Strafmaßnahmen im häuslichen Wohnumfeld umgesetzt werden, kommt auch eine an den Ort gebundene Angstverknüpfung hinzu. Dass dies einem entspannten und angstfreien Aufenthalt an diesem Ort nicht zuträglich ist, versteht sich im Grunde von selbst. Bezüglich der Haltungsbedingungen gibt es einen weiteren Kritikpunkt: eine sich wiederholende zeitliche und räumliche Isolation, die für Hunde viel zu lange ist, etwa bei voller Berufstätigkeit. Dazu kommen ggf. noch weitere Kontaktrestriktionen, etwa während der Nachtruhe oder durch das Verbot, bestimmte Räume zu betreten, die Unterbringung im Zwinger etc.
Manche Hunde mit Trennungsangst weisen eine deutliche Überabhängigkeit zum Menschen auf. Sie sind extrem unselbständig und verfolgen vor allem ihre wichtigste Bezugsperson auch indoor auf Schritt und Tritt. Leider wird die Sachlage oft fehlinterpretiert. Es heißt dann: Der Hund wolle den Halter kontrollieren. Basierend auf dieser Fehldiagnose wird das angeblich anmaßende Verhalten des Hundes bestraft, was zu seiner zusätzlichen Verunsicherung und Intensivierung seiner emotionalen Last beiträgt.
Problemtrigger Lockdown
Die Lockdownsituation war zunächst nichts, was Hunden missfallen hat oder gar in primärer Art ein Trennungsangst-Problem ausgelöst hätte. Eher im Gegenteil. Längerer oder teils durchgehender Kontakt mit den menschlichen Sozialpartnern hat den meisten Hunden wohl eher zur Freude gereicht. Und dennoch wurde der Lockdown zu einem starken Trigger für das Problem. Das ist auf das Konto von Trainingsmangel, bezogen auf Übungen zur Problemprophylaxe, und fehlendes Halterbewusstsein zu verbuchen.
Für die Hunde, die erst während der Pandemie übernommen wurden, gilt: Sie haben ein regelmäßiges Alleinsein häufig noch gar nicht kennengelernt. Ihnen steht vielfach ein böses Erwa-chen ins Haus, denn leider wird nur in wenigen Haushalten der Aufbau eines positiven Bezugs zum Alleinsein von Anfang an im Trainingsplan berücksichtigt. Aber auch viele Hunde, die schon vor der Corona-Pandemie bei ihren Haltern gelebt haben und (mehr oder weniger) problemlos allein bleiben konnten, sind nun »aus der Übung«. Diese sind zumindest gefährdet, bei plötzlicher Konfrontation mit längeren Isolationsphasen eine Trennungsangst zu entwickeln. In beiden Fällen gilt: Der Halter rechnet meist nicht mit einem solchen Problem. Die Gruppe der Ersthundehalter weiß häufig gar nichts von dem Problem Trennungsangst und der speziellen Anfälligkeit von Hunden dafür. Erfahrene Hundehalter haben sicherlich schon davon gehört oder kennen ggf. auch einen betroffenen Hund, jedoch erscheint es ihnen nicht nötig, Prophylaxe-Übungen umzusetzen, weil ihr Hund ggf. vor dem Lockdown kein entsprechendes Problemverhalten gezeigt hat. So oder so wird versäumt, bereits im Vorfeld daran zu üben und den Hund entsprechend vorzubereiten.
Die beiden bekanntesten und auch am häufigsten beklagten Symptome der Trennungsangst sind anhaltendes Vokalisieren und Zerstörungsverhalten. Die Liste an möglichen Symptomen ist aber wesentlich länger und umfasst neben möglichen vegetativen Symptomen (Speicheln, Erbrechen, Kontrollverlust über die Sphinkteren) auch unauffälligere Dinge, zu denen unter anderem auch Apathie oder Hektik zählen.
Beklagenswerte selektive Blindheit
Trennungsangst und auch schon eine gewisse Tendenz in diese Richtung (d. h. »nur« Nervosität und Unruhe während des Alleinseins, jedoch weder anhaltende Angst oder gar Panik noch vegetative Symptome) sind eigentlich nicht schwer zu diagnostizieren. Die betroffenen Hunde verraten uns in jedem Moment offenherzig über ihr Ausdrucksverhalten, was los ist und ob sie entspannt sind oder ob sie emotionale Last verspüren. Da man das Ausdrucksverhalten des Hundes natürlich nicht beurteilen kann, wenn man ihn alleine zurückgelassen hat, ist ein wenig Spionage erforderlich. Zur ersten Übersicht reichen einfache Aufnahmen mit einer Webcam oder einem im Aufnahmemodus aufgestellten Handy. Kaum ein Tierhalter macht sich jedoch die Mühe, seinen Hund auszuspionieren, solange es beispielsweise keine Klagen aus der Nachbarschaft gab oder er bestimmte Spuren seines Hundes zuhause vorgefunden hat. Und selbst wenn der Gedanke im Tierhalter aufkeimt, dass etwas mit dem Hund nicht stimmt, ist es weit verbreitet, alle möglichen Gründe als Erklärung für das Verhalten zu benennen. Die Option einer Trennungsangst wird hierbei einfach ausgeblendet. Stattdessen wird dem Hund oft »Boshaftigkeit« unterstellt, wenn er bellt, wenn er unsauber war oder sich erbrochen hat. Gleiches erfolgt, wenn er Zerstörungsverhalten (»fehlgeleitetes Spielverhalten«) zeigte. Fehlinterpretationen gibt es aber auch, wenn der Hund seinem Halter dadurch lästig fällt, dass er auffallend unselbständig ist und ihn bei Anwesenheit die ganze Zeit wie ein Schatten verfolgt. In diesem Fall wird dem Hund gerne ein »Kontrollwahn« zugeschrieben.
Die Augen vor dem Problem zu verschließen, dass der Hund emotionale Last hat, bedeutet, dass sein Leid verlängert wird. Im harmlosesten Fall wird dem Hund einfach keine Hilfe zuteil. Dies ist schon schädlich genug. Schlimmer noch ist es aber, dass in vielen Fällen die gestellten Fehldiagnosen Trainingsmaßnahmen nach sich ziehen, die auf Druck und Strafen basieren. Diese verschärfen das emotionale Leid des Hundes zusätzlich. Anzumerken ist hierbei, dass Strafen für viele Hunde leider auch dann die Quittung sind, wenn der Tierhalter sich in bester Absicht Rat bei einem Hundetrainer/einer Hundetrainerin einholt und er dabei an eines der schwarzen Schafe aus dieser Berufsgruppe gerät.
Übungsschwerpunkt: emotionale Stabilität
Der gesamte Maßnahmen- und Übungskatalog, um ein schon bestehendes Trennungsangst-Problem zu lösen, ist lang. Es ist jedoch in aller Regel unnötig (und zudem wäre es ein erheblicher zeitlicher Umweg), alle Maßnahmen bei jedem betroffenen Hund umzusetzen. Besser bewährt hat sich, eine möglichst genaue Einzelfallanalyse vorzunehmen und gezielt einige wenige Übungen und Maßnahmen auszuwählen. Dazu zählt ggf. auch der Einsatz stress- und angstlindernder Medikamente. Sowohl in der Therapie als auch in der Prophylaxe ist der Fokus darauf auszurichten, emotionale Stabilität während einer vorübergehenden Isolation von Sozialpartnern (wieder) aufzubauen bzw. zu erhalten. Konkret bedeutet das, dass Entspannung und das Erleben von Sicher-heit und Geborgenheit die wichtigsten Ziele sind.
Trennungsübungen, die im Rahmen einer Therapie umgesetzt werden, bewegen sich zeitlich anfangs im Sekundenbereich! Im Vordergrund steht weniger das »Bravsein« (etwa dem Halter nicht zu folgen, wenn dieser sich im Raum bewegt oder diesen verlässt), sondern das emotionale Erleben des Hundes. Er muss sich hierbei wohlfühlen. Dies ist durch regelmäßige (häufige) und kleinschrittig umgesetzte Übungen zu erreichen. Die Anwendung von Strafen oder Zwangsmaßnahmen verbietet sich vor diesem Hintergrund von selbst.
In diesem Zusammenhang sei noch einmal darauf hingewiesen, dass körperliches Wohlbefinden eine wichtige Grundlage ist, um diese Ziele überhaupt und vor allem schnell zu erreichen. Man tut daher gut daran, den Hund klinisch gründlich zu untersuchen und ihn im Fall anderer gesundheitlicher Baustellen (auch geringgradiger Art) allumfassend therapeutisch zu unterstützen.
Fazit
Die Klagen, dass ein Hund unter Trennungsangst leidet, haben in der letzten Zeit bereits zugenommen. Dennoch überwiegt nach wie vor eher eine weit verbreitete Ahnungs- und Sorglosigkeit. Den meisten Hundehaltern ist noch nicht gewahr, was ihnen ggf. noch ins Haus steht, wenn ihr Hund Trennungsangst hat oder entwickelt. Trennungsangst ist ein therapierbares Verhaltensproblem mit einer in vielen Fällen recht guten Prognose. Die Therapiedauer umfasst jedoch bei regelmäßiger Umsetzung der erforderlichen Übungs- und Managementmaßnahmen im Durchschnitt 4 bis 10 Monate. Besser beraten sind Tierhalter daher damit, dem Pro-blem bereits im Rahmen eines prophylaktischen Trainings entgegenzuwirken. Die Frage der Tierhalter, wann idealerweise mit gegensteuernden Maßnahmen zu starten sei, kann man schlicht mit »Heute!« beantworten. Die ersten Schritte in die richtige Richtung beziehen sich auf die Aufklärung der Tierhalter über die groben Zusammenhänge der Trennungsangst. Das erfordert oft zunächst eine grundsätzliche Sensibilisierung dafür, dass Hunde so anfällig für dieses Problem sind. Durch eine einfache »Spionageaktion« gelingt dem Tier-halter dann die Bestimmung des Ist-Zustands bei seinem Hund. Sollte der Hund auf den Videoaufnahmen tiefenentspannt liegen oder schlafen, darf ein wenig gefeiert werden. Schon beim geringsten Anzeichen von Nervosität, Unruhe oder Hektik auf Hundeseite jedoch sollte begonnen werden, ihn fachgerecht klinisch und trainerisch zu unterstützen. Das Zuhause sollte schließlich niemals ein Ort des Schreckens sein – auch nicht in Phasen des Alleinseins!
Die Veröffentlichung des Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Tierarzt24.de und der Wirtschaftsgenossenschaft deutscher Tierärzte eG (WDT).