Gewitter im Gehirn - Schreckgespenst Pubertät
Über die Pubertät der Hunde hört man sowohl Schauergeschichten als auch gut gemeinte Ratschläge, wie man reagieren oder nicht reagieren sollte. Die Pubertät kann eine anstrengende Phase für den Hund sein. Was in dieser Phase im Gehirn und im Körper Ihres Hundes passiert und wie Sie Ihren Hund bestmöglich unterstützen, erfahren Sie von Dr. Barbara Schöning.
Was passiert in der Pubertät im Gehirn und im Körper?
Die Pubertät ist der Teil der Adoleszenz, in welchem der Körper die Geschlechtsreife erreicht. Von Geschlechtsreife spricht man, wenn eine Hündin erfolgreich gedeckt werden kann bzw. wenn der Rüde erfolgreich decken kann. Als Adoleszenz bezeichnet man den Zeitraum von der späten Welpenphase (ab ca. der 16. Lebenswoche) über die Pubertät hinaus bis hin zum Erwachsensein. Am Ende der Adoleszenz sind die Hunde sozial erwachsen. Genau genommen unterscheidet man in der Pubertät drei Phasen: Die Vorphase (Vorpubertät) beginnt ab dem 4./5. Lebensmonat (LM). Circa mit dem 6. LM setzt die Hochphase ein. Das ist die Zeit, die oft vereinfacht mit „Pubertät“ gemeint ist. Sie endet bei der Hündin gut erkennbar mit der ersten Läufigkeit. Danach kommt die Spätpubertät (ca. ab dem 12.-14. LM). Hier ist der Hund körperlich ausgewachsen, aber seine mentale Entwicklung kann bis zum 36. LM dauern; das ist die eigentliche Phase der Adoleszenz. Hunde aus kleinen Rassen durchlaufen diese Phasen schneller als Hunde aus großen Rassen. Der durchschnittliche Dackel ist vermutlich mit 12-14 Monaten mit allem, inkl. Spätpubertät, durch, während ein Rottweiler erst mit ca. 30 Monaten die Adoleszenz beendet hat.
Die Pubertät beginnt, wenn Teile des Gehirns, besonders der Hypothalamus und die Hypophyse, bestimmte Hormone produzieren, die in anderen Organen des Körpers die Produktion von Geschlechtshormonen anregen. Beim Rüden werden die Geschlechtshormone in den Hoden produziert und regen hier die Bildung von Spermien an. Bei der Hündin findet die Hormonproduktion bevorzugt in den Eierstöcken statt. Beginn und Verlauf der Pubertät werden genetisch gesteuert (beim Menschen sind ca. 100 sog. Pubertätsgene bekannt). Man spricht auch von einem so genannten „hypothalamischen Gennetzwerk“. Wann und wie diese Gene aktiviert werden, wird durch äußere und innere Faktoren beeinflusst. Neben der Rasse spielt das Gewicht eine Rolle.
Da das körperliche Wachstum bei Hunden kleinerer Rassen schneller abläuft, gelangen sie auch eher in die Pubertät. Aber auch der individuelle Ernährungszustand (Körperfett ist z. B. hormonell aktiv) ist relevant, und der wird u. a. durch die allgemeine Gesundheit und das generelle Stresslevel beeinflusst. Infektionserkrankungen oder Parasitenbefall, die die körperliche Entwicklung negativ beeinflussen, werden den Eintritt der Pubertät nach hinten verschieben. Negative Lebensbedingungen, in denen der Hund z. B. häufiger stark verunsichert oder gestresst ist, können auch Beginn und Dauer der Pubertät beeinflussen.
Die Aktivierung der Pubertätsgene hat aber nicht nur einen Effekt auf hormonbildende Organe im Körper, sondern auch direkt auf das Gehirn: bestimmte chemische Botenstoffe (Neurotransmitter) werden zu viel oder zu wenig gebildet. Das führt z. B. in den Bereichen, die für die emotionale Steuerung relevant sind, zu Veränderungen, die sich in einer verstärkten Angstbereitschaft äußern. Besonders GABA (Gamma-Amino-Buttersäure – einer der haupthemmenden Neurotransmitter) und Dopamin (u. a. wichtig für die Gedächtnisbildung) sind betroffen, dazu auch noch Serotonin (wichtig für das emotionale Gleichgewicht) – nur um die wichtigsten zu nennen. Das äußert sich in einer reduzierten Lernfähigkeit und in der gesteigerten Angstbereitschaft. Die wird parallel dadurch verursacht, dass sich die Amygdala, ein weiterer kleiner Kernbereich im Gehirn, vorübergehend vergrößert. Die Amygdala bewertet Umweltstimuli als „gut“ oder „böse/gefährlich“ – hilft also, vereinfacht ausgedrückt, die beiden großen emotionalen Gegenspieler „Angst“ und „Freude“ zu generieren. Sie reagiert in der Pubertät besonders auf Reize aus der unbelebten Umwelt empfindlicher.
Das Gehirn im Wandel
Die Umbaumaßnahmen finden überall im Gehirn statt: neben den bereits genannten Bereichen auch im vorderen Gehirnbereich, dem Präfrontalkortex (PFC), welcher im erwachsenen Gehirn für Entscheidungsfindung und Hemmmechanismen zuständig ist. Das Gehirn und besonders der PFC verlieren paradoxerweise zunächst an Funktionalität, indem einzelne Verbindungen zwischen Gehirnzellen, die Synapsen, abgebaut werden. Vom Menschen weiß man, dass das Gehirn in den ersten zwei Lebensjahren auf ca. 1024 Synapsen anwächst, um sich dann in der beginnenden Pubertät auf ca. 50018 Synapsen zu reduzieren. Für den Hund sind keine Zahlen bekannt, aber man muss von analogen Prozessen ausgehen. D. h. auch im Hundegehirn wird umgebaut und der Organismus „trennt sich“ von überzähligen Energieverbrauchern zu Gunsten effektiv arbeitender einzelner Kernbereiche im Gehirn. Diese Umorganisation und die darauffolgende Bildung neuer neuronaler Netze aufgrund von Lernprozessen kostet Zeit und Energie, und das Gehirn ist währenddessen nicht so leistungsfähig. Das Individuum kann in kritischen Situationen möglicherweise nicht optimal reagieren – und in der freien Natur kann dies schnell den Tod bedeuten. Insofern hat diese erhöhte Angstbereitschaft in der Pubertät durchaus einen biologischen Sinn.
Was kann man tun, um dem Hund (und sich) durch die Pubertät zu helfen – auch im Hinblick auf ein entspanntes Leben „danach“?
„Augen zu und durch“ ist sicher keine nützliche Strategie. Diese Entwicklungsphase wird mit oder ohne Einwirkung des Besitzers stattfinden – aber wenn man so gar nicht darauf achtet, kann das böse Auswirkungen auf die Zukunft haben. Viele spätere Angstprobleme können hier ihren Anfang nehmen. Unsere Hunde leben nicht mit ihrer Hundefamilie in der Wildnis wie ein pubertierender Jungwolf. Sie leben in einer gemischten Gruppe in einer von Menschen gemachten Welt, in der die genetisch fixierten Entwicklungen und Reaktionen, die für ein Überleben in der freien Natur sehr sinnvoll sind, massive Nachteile haben können. Auf drei Bereiche sollten Hundehalter/-innen deshalb besonders während der Pubertät ihres Hundes das Augenmerk richten: Training von „nützlichen“ Signalen, Unsicherheits- bzw. Angstverhalten sowie das generelle Zusammenleben mit dem Hund und die Bindung zwischen Hund und seinem Menschen.
Harmonisches Zusammenleben
Nützliche Signale:
Damit sind Signale gemeint, die für ein entspanntes Zusammenleben zwischen Hund und Mensch bzw. für den Hund in einer menschlichen Gesellschaft nützlich sind. Dazu gehören für mich z. B. ein Aufmerksamkeitssignal, ein Rückrufsignal, mindestens ein Signal, damit der Hund stationär wird (sich z. B. hinsetzt) und ein Signal, dass er in dieser Position eine bestimmte Zeit verbleibt. Besonders nützlich ist, wenn er problemlos an der lockeren Leine gehen kann und dass er etwas, was er im Maul hat, problemlos hergibt.
Wer dies von Welpenalter an trainiert hat, hat schon eine gute Grundlage, wenn die Pubertät beginnt. Wichtig ist, sich jetzt nicht mit dem Erreichten zufriedenzugeben, sondern mit dem Training weiterzumachen. Was ich oft beobachte: Besitzer/-innen haben z. B. erste Erfolge beim Rückruf und bedenken nicht, dass Welpen sich sowieso noch sehr Richtung Sozialpartner „Mensch“ orientieren; folglich lassen sie oft um den 5./6. Lebensmonat herum das Training etwas schleifen. Gerade in der Pubertät wird auch das interne Belohnungssystem für die Gedächtnisbildung für die Zukunft „geeicht“ und im PFC entwickelt sich die Fähigkeit zur Impulskontrolle. Möglichst fehlerfreies und positives Training legt hier den Grundstein zu einem Hund, der gerne und gut lernt und nicht frustriert ist, wenn etwas im Leben mal nicht gleich so läuft, wie er sich das wünscht.
Unsicherheits-/Angstverhalten
Beobachten Sie Ihren Hund gut und achten Sie darauf, ob er in bestimmten Situationen Stress- oder Angstverhalten zeigt. Der Hund kann Angst haben oder gestresst sein – auch wenn man selber keinen Auslöser erkennen kann: Hunde und Menschen leben in unterschiedlichen sensorischen Welten. Zeigt der Hund eine Angstreaktion, wenn in der Nähe ein Auspuff knallt, vermuten Menschen, dass dies der Auslöser für Angst oder Stress war. Für den Menschen passt das Hundeverhalten zur Situation, wie er sie selber wahrnimmt. Zeigt der Hund Stressverhalten (Bellen an der Tür), wenn im Treppenhaus jemand herumläuft, ist es für Menschen deutlich schwerer nachvollziehbar, dass dieses Geräusch ein Angst-/Stressauslöser ist. Hier interpretieren Menschen das unerwünschte Hundeverhalten dann oft als „böse“ oder als Versuch, den Menschen „zu ärgern“, und reagieren ungleich weniger tolerant oder freundlich.
Überlegen Sie also, welche Stressoren bzw. Angstauslöser für Ihren Hund eine Rolle spielen, und versuchen Sie dann, Situationen zu vermeiden, wo diese Auslöser „ernstfallmäßig“ auftreten, und beenden Sie jedes Schimpfen. Reizüberflutungen haben, besonders in der Pubertät, immer einen negativen Effekt. Schritt zwei besteht dann darin, den Hund langsam an diese Stress-/Angstauslöser zu gewöhnen. Hier kann Ihnen eine gute Hundeschule helfen, ein sinnvolles Desensibilisierungsprotokoll zu entwickeln – welches von Ihnen dann abgearbeitet wird.
Sicherheitsgeber Mensch
Da unsere menschliche Alltagswelt für Hunde kein Paradies ist, macht es Sinn, sie von Welpenalter an in klaren, überschaubaren Spielregeln leben zu lassen, die ihnen Sicherheit vermitteln. Am wichtigsten ist dabei, dass sich der Bindungs- und Sozialpartner Mensch als zuverlässiger, freundlicher Sicherheitsgeber etabliert. Besitzer-/innen sollen die sichere Basis sein, von wo aus die Welt erkundet werden kann, und sie sind der „sichere Hafen“, wohin man bei Gefahr/Angst/Stress zurückkehren kann. Genau dieses Wissen erhöht das subjektive Sicherheitsgefühlt und ermöglicht Autonomie, um sich mit subjektiv bedrohlichen Ereignissen vertraut zu machen. Wenn sich z. B. der Hund „im Angesicht“ von etwas Bedrohlichem zunächst hinter seinen Menschen zurückzieht und sich dann langsam neben ihm hervortraut, um sich das genauer anzugucken, wird man ihn als Besitzer-/in für dieses „Heraustrauen“ belohnen. Man wird sich nicht entziehen und den ängstlichen Hund sich selber überlassen, sondern man bleibt als Rückzugsort verfügbar. Vor 30 Jahren hieß es noch, dass man einen ängstlichen Hund bloß nicht trösten solle. Das hat sich zum Glück geändert. Heute wissen wir, dass ruhiges Trösten dem Hund hilft, sich zu entspannen und zu lernen, dass das, was ihm da gerade Angst macht, gar nicht so schlimm ist.
Zum Sicherheitsgeber für seinen Hund wird man, wenn man als Mensch zuverlässig und vorhersehbar ist und freundlich mit ihm umgeht. Dann löst schon alleine die Anwesenheit des Menschen positive Emotionen aus und die Stressreaktion bei unangenehmen Reizen wird verringert. Am besten gelingt das da, wo der Mensch selber angst-/stressfrei ist. Aber auch ein unentspannter Besitzer hilft dem ängstlichen Hund. Dies kann man z. B. bei Tierarztbesuchen beobachten, wo auch die Besitzer oft angespannt sind. Studien haben gezeigt, dass sich der Hund mit einem gestressten Besitzer immer noch besser fühlt, als wenn er ganz alleine wäre.
Spielregeln und Rituale
Erlauben Sie Ihrem Hund, Hund zu sein. Aber definieren Sie Spielregeln, Strukturen und Rituale, die für den Hund gelten. Diese geben Sicherheit und die benötigt der Hund in der Pubertät ganz besonders. Das Etablieren der Strukturen und Regeln muss positiv erfolgen. Machen Sie sich eine Liste all der Verhaltensweisen, die Sie bei Ihrem Hund schätzen bzw. sich in Zukunft wünschen. Belohnen Sie ihn dafür, wenn er dieses Verhalten zeigt: z. B. wenn er ruhig und entspannt ist, denn das ist keine Selbstverständlichkeit für einen jungen Hund. Auch wenn solche entspannten Phasen anfangs vielleicht nie lange dauern und insgesamt seltener sind – je häufiger Sie Ihn dafür belohnen, desto häufiger und länger werden sie gezeigt. Auch hier sollten Sie eine gute Hundeschule nach dem richtigen Vorgehen für Ihren individuellen Hund fragen, wenn Sie sich nicht sicher sind, wie Sie das am besten durchführen.