Lernen und Verhalten unserer Hunde verstehen
Bei der Vorbereitung auf die Hundeführerscheinprüfung investieren die Mensch-Hund-Teams viel Zeit in das Training der geforderten Prüfungsaufgaben. Wie wichtig es ist, die Zusammenhänge zwischen dem Lernen, der Umwelt und dem Verhalten unserer Hunde zu verstehen, erklärt Annette Möckel.
Was ist Verhalten?
Unsere Hunde haben die Fähigkeit, lebenslang zu lernen, um sich und ihr Verhalten flexibel an ihre Lebenssituation anzupassen. Um Verhalten zu verstehen, ist die Annahme wichtig, dass Ereignisse aus der Umwelt Verhalten beeinflussen. Dazu muss das jeweilige Umweltereignis vom Hund wahrgenommen werden und für ihn relevant sein. Dies können Signale sein, die der Mensch dem Hund gibt, woraufhin er ein erwünschtes Verhalten zeigt, oder das gezeigte Verhalten löst eine Konsequenz aus. Der Hund erhält beispielsweise für sein Verhalten eine Verstärkung in Form von Lob oder Spielzeug. Ein Verhalten wird beeinflusst durch die Motivation des Hundes, das Umweltereignis und die auf das Verhalten folgende Konsequenz.
- Erfolgreiches Verhalten wird häufiger
- Erfolgloses Verhalten wird seltener
Ob eine Konsequenz als angenehm oder unangenehm empfunden wird, entscheidet das jeweilige Individuum. Dies gilt auch für die Bewertung, ob das eigene Verhalten als erfolgreich oder erfolglos wahrgenommen wird.
Was ist Lernen?
In der wissenschaftlichen Literatur finden sich dazu unterschiedliche Definitionen. Eine Beschreibung von Skinner lautet: „Lernen ist die Entwicklung von neuem Verhalten“ (Skinner, 1954). Welche Voraussetzungen sollten gegeben sein, um dem Hund erfolgreiches Lernen, also eine zielführende Anpassung an seine Umwelt zu ermöglichen?
Die Grundlage modernen Trainings ist das Konzept des fehlerfreien Lernens. Das bedeutet: Bei der Planung werden die bestehenden und die noch fehlenden Kenntnisse, Fertigkeiten oder Fähigkeiten des Hundes berücksichtigt und die Lernsituation durch den Trainierenden so gestaltet, dass der Hund möglichst jeden Trainingsschritt sofort erfolgreich absolviert. Zuerst wird das jeweilige Trainingsziel festgelegt, welches der Hund erreichen soll. Folgende Fragen sind dafür hilfreich:
- Welches Signal soll das Verhalten des Hundes auslösen?
- Was genau soll der Hund tun?
- Was folgt dem Verhalten? Welchen Verstärker erhält der Hund?
- In welchen Umgebungen soll das Verhalten gezeigt werden?
Anschließend wird der zum Hund passende, effizienteste Trainingsweg gewählt. Diese Kriterien beeinflussen die Auswahl:
- Aus welchen einzelnen Verhaltensweisen besteht das Zielverhalten?
- Welche dieser Verhaltenselemente kennt der Hund schon?
- Welche zur Aufgabe passenden Signale kennt er bereits?
- Wie und wo soll er den Verstärker erhalten?
- Welche Hilfsmittel/Gegenstände werden beim Übungsaufbau gebraucht (z. B. Leine, Decke, Maulkorb)?
- An welchem Ort wird am besten zuerst geübt? Welche Ablenkungen werden im Laufe des Trainings gebraucht?
Nachdem der Trainingsweg festgelegt wurde, werden die einzelnen Trainingsschritte geplant. Diese sollen den Hund erfolgreich Schritt für Schritt vom aktuellen Trainingsstand zum Ziel kommen lassen. Ist diese Planung abgeschlossen, geht es in die praktische Umsetzung mit dem Hund. In der Praxis ist es wichtig, das Verhalten des Hundes detailliert zu beobachten. Diese genaue Beobachtung gibt wichtige Hinweise darauf, ob der Hund auf dem richtigen Weg ist oder ob die vorgesehenen Trainingsschritte nochmals an seine Anforderungen angepasst werden. Der Vorteil daran ist, dass der Hund einzelne Basisfähigkeiten lernt. In der Folge können diese wie Bausteine sehr flexibel zu immer neuen Kombinationen und sogenannten Verhaltensketten zusammengesetzt werden. Werden die Fertigkeiten und Fähigkeiten sorgfältig erarbeitet, geht das nachfolgende Kombinieren recht schnell, da der Hund auf seine vorangegangenen Erfolgserlebnisse aufbauen kann. Dazu ist es wichtig, das Training so an den Hund anzupassen, dass er die einzelnen Anforderungen erfolgreich und möglichst selbstständig erfüllen kann. Die Voraussetzung dafür ist eine gute Planung und die sorgfältige Gestaltung der Lernsituation, in der neues Verhalten aufgebaut wird.
Beim fehlerfreien Lernen geht es nicht um den Anspruch, einen perfekten Plan zu haben, bei dem der Hund niemals einen Fehler macht. Vielmehr geht es darum, wie der Mensch damit umgeht, wenn der Hund einen Fehler beim Üben macht. Diese Fehler sind eine wichtige Information für den Menschen. Sie geben Hinweise darauf, wo der Trainierende seinen Plan nochmals an die Kenntnisse und Fähigkeiten des Hundes anpassen sollte. Tritt ein Fehler auf, ist es wichtig, diesen zu bemerken und sofort zu entscheiden, wie das Training weiter verläuft. Hat der Hund einen Fehler gemacht, wiederholt der Trainierende den Lernschritt. Ist diesmal die Ausführung richtig, wird weitergeübt. Ist die Ausführung erneut falsch, sollte der bzw. die Trainierende prüfen, woher dieser Fehler kommt. Manchmal macht der Mensch unbewusst etwas anders und der Hund reagiert sofort auf diese Änderung. Manchmal wurde der Hund durch etwas in der Umwelt abgelenkt oder er hat etwas noch nicht richtig verstanden. Um weder den Menschen noch den Hund zu frustrieren, weil ein Übungsschritt nicht wie geplant klappt, ist es sinnvoll, nach spätestens drei Fehlversuchen eine kurze Pause einzulegen und zu überlegen, welche Änderung dem Hund helfen wird, den geplanten Schritt erfolgreich zu lernen. Solche Änderungen können sein: Der Ort der Belohnung wird minimal verändert, die Position des Menschen zum Hund wird verändert, Hilfsmittel werden etwas anders positioniert oder das Markersignal wird zu einem anderen Zeitpunkt gegeben. Eine häufige Fehlerquelle ist Futter, das der Mensch beim Üben in der Hand hält. Mit etwas Erfahrung kann jeder Hundehalter, jede Hundehalterin die entstehenden Fehler erkennen und eine zu seinem Hund passende Lösung selbstständig finden. Lernen beschränkt sich nicht auf geplante Übungssituationen, Lernen findet immer statt (Zinoun, 2014). Dies ist Menschen im Alltag oft nicht bewusst.
Deckentraining
Der Hund soll sich auf das Wort „Decke“ auf seine am Boden liegende Decke begeben und sich dort hinlegen. Bereits bekanntes Verhalten und Signale:
- Markersignal: „Prima“
- Wortsignal: „Platz“, Bedeutung: der Hund legt sich hin
- Übungsende-Signal: „Frei“, Bedeutung: der Hund darf die zuvor geübte Position verlassen.
Zusätzlich werden Futterstückchen als Verstärker verwendet.
Zu Beginn der Übung befindet sich der Hund direkt bei seinem Menschen. Die Decke, mit der geübt werden soll, liegt im ersten Übungsschritt noch nicht auf dem Boden. Zuerst wird das bereits bekannte Wortsignal „Platz“ geübt.
Der Mensch sagt dem Hund das bekannte Signal „Platz“. Der Hund legt sich sofort hin. Innerhalb von 0,5-1 Sekunde (Timing), wenn der Bauch des Hundes den Boden berührt, sagt der Mensch das Markersignal „Prima“. Sofort danach, während sich der Hund noch in der liegenden Position befindet, erhält er sein Futterstückchen als Verstärker für das Hinlegen. Direkt im Anschluss sagt der Mensch das Übungsende-Signal „Frei“. Der Hund darf aufstehen und die Übungsposition verlassen.
Nach ein bis zwei erfolgreichen Wiederholungen des bekannten Verhaltens legt der Mensch die Decke auf den Boden. Im Idealfall an die Stelle, an der der Hund sich zuvor mit dem Signal „Platz“ bereits hingelegt hat. Viele Hunde laufen, ohne zu zögern, direkt auf die Decke in der Erwartung, dass der Mensch ihnen erneut das zuvor geübte „Platz“-Signal gibt. Sollte der Hund dies nicht tun, kann der Mensch ihn mit einer einladenden Handbewegung auf die Decke locken. Sobald sich alle vier Pfoten des Hundes auf der Decke befinden, gibt der Mensch das Wortsignal „Platz“. Der Hund legt sich sofort hin. Innerhalb von 0,5-1 Sekunde (Timing), wenn der Bauch des Hundes den Boden berührt, sagt der Mensch das Markersignal „Prima“. Sofort danach, während sich der Hund noch in der liegenden Position befindet, erhält er sein Futterstückchen als Verstärker für das Hinlegen. Direkt im Anschluss sagt der Mensch das Übungsende-Signal „Frei“. Der Hund darf aufstehen und die Übungsposition verlassen. Ziel dieses Schrittes ist, dass der Hund die Decke selbstständig betritt und sich dort auf das Wortsignal „Platz“ hinlegt. Dieser Trainingsschritt wird drei bis fünf Mal wiederholt. Waren alle Wiederholungen erfolgreich, besteht die Möglichkeit, bereits das neue Signal „Decke“ mit dem Hund zu üben.
Als Regel für die Signaleinführung, also das Lernen des neuen Signals, gilt: Neues Signal vor altes Signal. Danach erfolgt das Markersignal, der Verstärker und das Übungsende-Signal. Der Übungsschritt sieht folgendermaßen aus:
Der Hund befindet sich direkt bei seinem Menschen, die Decke liegt an der gleichen Stelle wie zuvor am Boden. Sobald sich der Hund mit allen vier Pfoten auf der Decke befindet, gibt der Mensch das neue Hörzeichen „Decke“, 0,5-1 Sekunde (Timing) danach das Wortsignal „Platz“. Der Hund legt sich sofort hin. Innerhalb von 0,5-1 Sekunde (Timing), wenn der Bauch des Hundes den Boden berührt, sagt der Mensch das Markersignal „Prima“. Sofort im Anschluss, während sich der Hund noch in der liegenden Position befindet, erhält er sein Futterstückchen als Verstärker für das Hinlegen. Direkt folgend sagt der Mensch das Übungsende-Signal „Frei“. Der Hund darf aufstehen und die Übungsposition verlassen. Ziel dieses Schrittes ist, dass der Hund die Decke selbstständig betritt und dort das neue Hörzeichen „Decke“ kennenlernt. Dieser Trainingsschritt wird drei bis fünf Mal wiederholt. Waren alle Wiederholungen erfolgreich, wird das Wortsignal „Platz“ nach dem Wort „Decke“ weggelassen und die Übung Schritt für Schritt weiter ausgebaut, bis sie der Hund in allen erwünschten Situationen beherrscht.
Im Hundetraining gibt es unzählige Varianten und Möglichkeiten, Verhalten zu formen. In diesem Beispiel wird das neue Hörzeichen früh innerhalb des Trainings geübt – in erster Linie, um die Einführung eines neu zu lernenden Signals zu verdeutlichen. Das gilt ebenso für die Beschreibung des Verstärkungsprozesses. Hier wird innerhalb von 0,5-1 Sekunde, in der das erwünschte Verhalten gezeigt wird, das Markersignal gegeben und sofort im Anschluss der Verstärker. Die zügige Verstärkergabe ist sinnvoll, weil jedes Verhalten, welches der Hund zwischen dem Markersignal und dem Verstärker zeigt, ebenfalls verstärkt und mitgelernt wird. Für das Training mit dem eigenen Hund ist es sinnvoll und wichtig, den individuellen Trainingsstand zu berücksichtigen und jede Trainingsanleitung detailliert daran anzupassen.